In Ohligs ist jetzt Zukunft

Reportage
Das Softwareunternehmen codecentric bereichert Solingen mit seinem neuen Firmensitz, der schon jetzt wegweisend ist für die Art, wie künftig gearbeitet wird: der Job als Lifestyle. Weil Mut, Wertschätzung und
Vertrauen die Währung von morgen sind.

Drei Stunden hat er am Stück programmiert, der junge Softwareentwickler. Die Zahlen und Codes tanzen vor seinen Augen. Zeit für eine Pause. Zeit für … Billard vielleicht? Schließlich steht der Billardtisch oben im Foyer. Oder ein Kaffee an der großen Kaffeebar im Erdgeschoss? Da kommt man oft mit Kollegen ins Gespräch, tauscht sich aus, entwickelt Ideen. Vielleicht auch einfach mal einen Moment chillen in der Lounge. Den Kopf frei machen, bevor es gleich weitergeht. Er nickt einem Kollegen zu. Der sitzt gerade im schalldichten Glasbüro, weil er absolute Ruhe braucht. Gleich steht sicher ein Kundentelefonat an. Was der da gerade genau macht? Keine Ahnung, nur eine Gewissheit: Es ist fürs Unternehmen.

Das Team, das zur selben Zeit ein paar Schreibtische weiter zusammensteht, hat sich vor kurzem erst gefunden, gemeinsam arbeiten sie an einem neuen Kundenprojekt. Den neuesten Kollegen hat das Team nach eigenem Auswahlverfahren selbst eingestellt, ihn der Geschäftsführung vorgestellt und auch das Go bekommen. Ein weiteres Teammitglied ist gerade nicht da, besucht eine Konferenz in Barcelona, wird den anderen später die Ergebnisse schicken und sich dann für eine Woche in den Urlaub verabschieden. Den hat er sich selbst genommen, in Absprache mit seinem Projektteam. Andere Mitarbeiter sind auch in Teams tätig, sehen sich aber selten, weil sie alles von zu Hause erledigen. Wenn sie sich mal treffen, dann oft vor der großen, amphitheaterähnlichen Bühne, da, wo die riesigen Sitzkissen liegen, wo Kunden-events und Vorträge stattfinden und neueste Innovationen an die Leinwand geworfen werden. Da, wo man sich wie auf einem Campus über den Weg läuft und ganz natürlich ins Gespräch kommt, allein schon, weil man sich für das interessiert, was der andere macht.

Was für eine schöne Utopie, oder? Stellen Sie sich mal vor, Sie könnten so arbeiten.

Die knapp 400 Mitarbeiter an den 16 Standorten des Solinger Software-Entwicklers codecentric müssen sich das nicht vorstellen… Denn sie arbeiten jeden Tag so. In Solingen in einer Lebens- und Arbeitswelt, die die beiden Firmengründer Rainer Vehns und Mirko Novakovic im Herzen von Ohligs für sie geschaffen haben. Gleich hinter dem Bahnhof. codecentric, das vor zehn Jahren als Zwei-Mann-Unternehmen gegründet wurde, hätte seinen neuen Stammsitz überall hinstellen können. Man hat sich für Ohligs entschieden. „Aus Lokalpatriotismus“, wie Novakovic zugibt. „Und wegen der genialen Zuganbindung.“ Viele Mitarbeiter pendeln aus Düsseldorf nach Solingen. Oder von weiter her. Weil sie das schätzen, was ihnen hier geboten wird: Arbeit als Lifestyle, den man im Team für seine Kunden erfolgreich gestalten und genießen kann. „Im Wesentlichen wollten wir mit diesem Gebäude unseren Arbeitsalltag ideal unterstützen. Unser Firma ist getrieben von den Menschen. Als Softwareentwickler wollen und müssen wir immer wieder in neues Wissen investieren. Am Puls der Zeit sein. Wir alle verbringen jeden Tag wahrscheinlich mehr Zeit hier als wach zu Hause. Warum also soll ich es mir hier nicht genauso schön machen?“, sagt Commercial Director Maik Schröder. Ein Teppichkonzept, das optisch einem Steinboden mit Geröll nachempfunden ist, durchzogen von Laufwegen in Grün, eine ganze Wand aus Andenmoos in der Cafeteria, überall Naturmaterialien und eine komplett offene Bauweise machen das möglich. Es gibt am neuen codecentric-Stammsitz an der Hochstraße 11 nicht einen dunklen Flur.

Pause machen, wann und wie lange man will, von zu Hause arbeiten, wann man möchte, abends im firmeneigenen Appartment übernachten können, wenn es mal richtig lang wurde in der Entwicklung, und per se ein 4:1-Prinzip zu leben, das vier Tage Projektarbeit und einen Tag für freie Entwicklung, Weiterbildung und neues Wissen vorsieht – all das und viel mehr ist codecentric. Dies umzusetzen, erfordert Vertrauen. Es erfordert Mut. Und eine andere Denke. „Sind Stunden eigentlich die richtige Messgröße für Arbeit?“, fragt Mirko Novakovic. Wahrscheinlich nicht, wenn man sich wie er und die vielen Entwickler mit Fragen befasst wie: Lassen sich Industriemaschinen künftig rein digital steuern? Wie kann ich als Unternehmen heute wissen, was mein Kunde morgen braucht? Wird es in zehn Jahren vielleicht 90 Prozent weniger Autos geben, weil die, seien wir ehrlich, zu 95 Prozent eh nur herumstehen? Und welche Software wird benötigt, um mobile Alternativen zu schaffen? Die Liste ließe sich über viele Seiten fortsetzen. Denn solche Fragen stellen viele Unternehmen. codecentric entwickelt die Antworten. Immer wieder neue, denn das Wissen von vor zehn Jahren gehört längst ins virtuelle Museum und das aus 2015 ist heute Mainstream. Wer erfolgreich sein will, muss den ersten Wissensschritt machen. Er muss dieses Wissen verinnerlichen und mit anderen teilen. Um das zu erreichen, gehört bei codecentric auch dazu, dass nicht jeder alles wissen muss: „Den Mitarbeitern Vertrauen schenken, bedeutet: Ich weiß nicht alles. Ich muss auch nicht alles wissen. Bei uns ist dieses geschenkte Vertrauen noch nie missbraucht worden. Und mal umgekehrt betrachtet: Was man von all diesen Pseudokontrollen aus anderen Unternehmen kennt, bringt doch viel Frust. Denn was man vermeintlich erreichen will, erreicht man dann doch nicht“, unterstreicht Maik Schröder und ergänzt: „Wir haben hier eine nachhaltige Arbeitsumgebung und dadurch eine sehr niedrige Mitarbeiterfluktuation. Für unsere Kunden ist das optimal.“

1000 Menschen bewerben sich jedes Jahr bei codecentric, das auf der Arbeitgeber-Bewertungsplattform kununu zu den am besten bewerteten Unternehmen Deutschlands zählt, für 50 bis 70 Einstellungen. Das Auswahlverfahren ist hart, denn die Solinger suchen nur die Besten. Die, die Wissenshunger, Ideen, Eigenständigkeit und Können mitbringen. Jene, die am Ende nicht eingestellt werden, sind trotzdem begeistert vom Unternehmen und teilen das auch mit. Apropos mitteilen: Kurz nach Ende der einjährigen Bauzeit durften sich alle Nachbarn diese neue, so ganz andere Arbeitswelt bei einem Tag der offenen Tür anschauen. „Auch bei Digitalisierung geht es letztlich immer um Interaktionen zwischen Menschen, und das ist für uns sehr wichtig: echte, menschliche Netzwerke“, sagt Schröder. Er freut sich bereits auf den geplanten Hotelneubau in Ohligs und hofft, dass der codecentric-Firmensitz eine Initialzündung dafür sein könnte, was sich rund um den Bahnhof noch so tut.

Was er in jedem Fall schon ist? Eine Inspiration für all jene, die Arbeitswelten neu denken wollen. Die Arbeit nicht als lästige Pflicht, sondern als beglückenden Lebensstil begreifen. Denn nur so geht Zukunft.

Eine Reportage aus dem ENGELBERT Solingen, Ausgabe 22.

Fotos: Christian Beier