Kochen. Und so viel mehr

Porträt.
Seit 17 Jahren lebt der gebürtige Solinger Stephan Staats in Neuseeland. Vor allem aber ist er unterwegs:
Als Koch auf den Yachten der reichsten Menschen der Welt. Und als Helfer in der Flüchtlingsrettung im Mittelmeer. Eine Geschichte, so bewegt und bewegend wie die Wellen der Meere.

Er hockt wieder in dieser französischen Hafenkneipe. Trinkt sich einen. Er muss hier sein, sie sind alle hier, denn in den Kneipen am Hafen werden die Geschäfte gemacht. Wenn du einen Job willst auf einem der Schiffe, dann bist du hier. Wenn du Pech hast, ziemlich lange. Das Geld ist Stephan Staats vor Tagen ausgegangen, das Hotel konnte er schon nicht mehr bezahlen, also hat er die letzten zwei Nächte am Strand geschlafen. Dann endlich spricht ihn einer an: Du, die suchen einen Koch für eine Fahrt ab St. Thomas. Er versteht nur St. Tropez, denkt, okay, das ist nicht weit von hier. Hauptsache, es geht weiter.

Geht es, aber eben richtig weit. Am Flughafen schaut er auf den Flugplan, realisiert: Es ist St. Thomas. Karibik. Da angekommen nach zehn Stunden Flug wird er zum Hafen gefahren und steigt auf eine Yacht, zusammen mit einigen anderen Besatzungsmitgliedern, die er jetzt erst kennen lernt, mit denen er aber in ein paar Tagen schon die bangsten Minuten seines Lebens verbringen wird. Da sind die Kneipentage letzte Woche Peanuts gegen. Denn gemeinsam werden sie auf einer Luxusyacht über den Atlantik Richtung Europa fahren. Stephan Staats wird kochen, die anderen Jungs werden das Schiff in Schuss halten. Aber bei dem ist der Zug schon fast abgefahren, es ist locker 40 Jahre alt, und als der Sturm kommt, irgendwo in der Endlosigkeit des Ozeans, als die Wellen meterhoch gegen das Schiff krachen und das Deck fluten, da scheint alles zu spät zu sein. So richtig klar wird ihm das, als der türkische Ingenieur in der Schiffsmitte in die Knie geht und ihn fragt, ob er denn bete, er das vereint und der Türke sagt: „Jetzt ist aber die Zeit dafür.“ Stephan Staats schließt mit allem ab.

Aber das musste der Solinger nicht. Er kann davon erzählen, im Gespräch mit ENGELBERT, und in seinem außergewöhnlichen Kochbuch „Staats‘ Geheimnisse“, das mediterrane Rezepte, die er auf den größten Privatyachten dieser Welt gekocht hat, mit Auszügen aus seiner schier unglaublichen Lebensgeschichte verbindet. Sie handelt vom jungen Mann, dem immer alle gesagt hatten, er könne nichts, er werde nichts. Der es nach der Grundschule Klauberg auf dem Gymnasium Schwertstraße versuchen sollte, den Eltern zuliebe, aber scheiterte und letztlich ohne Abschluss die Schule verließ. Der heute als Schiffskoch der Stars so gefragt ist, dass ihn die Reichsten der Reichen gerne gleich für eine ganze Saison auf ihren Megayachten buchen. Von den 30 größten Privatschiffen der Welt kennt er fünf in- und auswendig. Weil er als Küchenchef auf ihnen gearbeitet hat. Einige dieser Geschichten hat der Weltenbummler nun in seinem ersten Buch „Staats‘ Geheimnisse“ festgehalten, nicht rein biografisch – wie einst geplant –, sondern verpackt zwischen vielen außergewöhnlichen Rezepten aus dem Mittelmeer-Raum. Ein interessanter Mix. Finden die Leser auch, die zweite Auflage ist schon draußen. Und der Autor ist vor allem deshalb gerade in Deutschland, um es zu bewerben – und an der bereits geplanten Fortsetzung zu arbeiten. Denn Stephan Staats lebt schon seit 17 Jahren in Neuseeland.
Wie wurde er eigentlich zum Koch? „Fürs Kochen habe ich mich immer interessiert, schon als Kind. Daher habe ich mit viel Glück auch ohne Schulabschluss eine Ausbildung bekommen.“ Die Ausbildung war Schufterei, er schaffte sie, bekam aber in Deutschland keinen guten Job. „Mir wurde hier weiterhin nur gesagt, ich könne nix. Das hat mich aber nur angespornt. Und mir war bald klar: Ich muss weg hier“, erzählt der 42-Jährige. Mit seiner damaligen Partnerin wagte er 1997 den Sprung, er war immer schon ein Typ, der einfach mal macht, der Dinge ausprobiert. Sie gingen nach Mallorca, er kochte dort eine Saison, und hier sah Stephan Staats zum ersten Mal die gigantischen Privatyachten aus der Nähe. Und dachte: Da fahre ich irgendwann mal mit. Als Koch. Doch so weit kam es vorerst noch nicht, denn ihnen ging das Geld aus auf der Baleareninsel. Also: Rückkehr nach Deutschland. Aber da Heimat bekanntlich ein Gefühl und kein Ort ist und Stephan Staats, diesmal in Köln gelandet, das Gefühl hatte, dort einfach nicht richtig zu sein, „musste ich ein Ziel finden, das so weit weg ist, dass ich nicht mal eben zurückkehre.“

Es hieß Australien, wo sich das Paar eine neue Existenz aufbaute. Die Olympischen Sommerspiele 2000 waren ihr Ziel. Denn als Koch bekam der Solinger dort ohne Weiteres einen Job. Später gingen die beiden nach Neuseeland, hier waren die wirtschaftlichen Perspektiven für das Paar besser. Aber Stephan Staats ließ die Weite des Meeres nicht los. Er wollte einmal auf so eine Yacht: „Wir vereinbarten, dass ich es versuche.“

Ob er damals schon ahnte, dass es bei dem Versuch nicht bleiben würde? Denn nachdem es mit den ersten Engagements geklappt und er jene erste Atlantiküberquerung überlebt hatte, sprach sich herum, wie gut und kreativ der Solinger kocht. Wie hart er arbeitet. Wie offen und direkt er ist. Er wurde weitervermittelt, immer für ein paar Wochen oder Monate an eine andere Familie, einen anderen Unternehmer. „Ich darf natürlich nicht verraten, für wen ich alles gekocht habe, aber ich versichere Ihnen: Die meisten davon kennen Sie, es sind viele Stars dabei. Meine allererste Fahrt ging von Hamburg nach Frankreich auf der Yacht eines russischen Fußballclub-Besitzers“, lässt er durchblicken. Mit einigen seiner Kunden hat Stephan Staats nach wie vor guten Kontakt.

Liest sich ja alles ganz nett, richtig? So monatelang über die Meere schippern, auf Luxusyachten kochen … na ja: „In der Regel arbeitest du 16 bis 20 Stunden am Tag, über Monate. Und wenn der Anruf kommt, dass gleich die Hubschrauber an Deck landen und eine Spontanparty für 60 Leute gefeiert wird, dann machst du und fragst nicht groß.“ Sein längstes Engagement ging über ein halbes Jahr am Stück. Auf einem der Schiffe hatte die Küche keine Fenster. „Da arbeitest du Ewigkeiten ohne Tageslicht. Danach hatte ich Depressionen.“

Kann das alles sein? Diese harte Arbeit auf diesen Yachten? Das hat sich Stephan Staats irgendwann gefragt. Und eine Antwort gefunden: Nein. Da muss es doch noch mehr geben. Und damit meint er nicht das Schreiben von Kochbüchern, was ihm zweifelsohne viel Freude bereitet. Sondern er meint damit, Menschen zu helfen. Seit zwei Jahren engagiert er sich aktiv in der Rettung von Flüchtlingen aus dem Mittelmeer. Er kocht ehrenamtlich für die Besatzung der Rettungsschiffe vor der Libyschen Küste und packt auch selber mit an, wenn Hunderte völlig hilflose Afrikaner von einem komplett überfüllten Schlauchboot geholt werden. Stephan Staats war dabei, als Menschen gerettet wurden. Und er hat auch viele sterben sehen.

Er weiß, welche Herausforderungen diese Dramen für ganz Europa noch bedeuten werden. Statt dies nur zu kommunizieren, ist er aktiv geworden. Mit den 20-Stunden-Schichten auf den Luxusyachten der Reichsten finanziert er sich die Zeit, um den Ärmsten zu helfen. Er hat gesehen, wie die leben, die alles haben und die, denen nichts bleibt. Was für eine Gratwanderung. Was für eine weitere Geschichte. Stephan Staats, dieser ewig rastlose Reisende, hat sie ENGELBERT in Solingen erzählt. In den Räumen der Food Factory am Kleinenberg in Solingen. Von Neuseeland über das Mittelmeer führt ihn sein Weg letztlich doch immer wieder mal zurück. In seine Heimatstadt.

Ein Artikel aus dem Engelbert Solingen, Ausgabe 22.

Titelfoto: Justyna Krzyzanowska, weitere Fotos: Christian Beier