Let’s ROCK!

Dass Metal-Queen Doro Pesch bei ihm in den Rockcity-Studios
mal proben und Songs aufnehmen würde, hätte Carsten Steffens vor einigen Jahren auch nicht gedacht. ENGELBERT war zu Gast, als Doro mit ihrer Band Ende November das Studio rockte.

Ein Hinterhof. Dunkelheit. Links eine Garage, die schon bessere Zeiten gesehen hat. Lange her. Und wo lang jetzt? Ein schmaler Durchgang. Rechts ein Fenster. Licht. Knarrend öffnet sich eine Tür. Ein freundlicher grauhaariger Mann tritt heraus. „Ich hab doch Schritte gehört? Willkommen bei Rockcity!“ „Ja, danke!“, denke ich. Und wo ist das jetzt? Doch dann vergesse ich den Hinterhof und die Garagen. Stehe plötzlich hinter einem Mischpult. Blicke auf Lautsprecher, Amplifier, E-Gitarren, Bassgitarren … dann geht es raus auf den Flur. Nächste Tür.

Visueller Overkill: Von der Decke grinst mich ein Bösewicht aus den Marvel-Comics an. An den Wänden aus Stein und Holz hängen indische Tücher. Was für ein Juwel von einem Tonstudio. Und mittendrin: Das Schlagzeug der Band von Metal-Queen Doro Pesch. Das Keyboard. Die Gitarren. Ihr Mikro. Die Liste der Songs, die sie gleich hier proben wird. „Wann eigentlich?“, frage ich mit der typischen Ungeduld des Reporters, der noch nicht verstanden hat, dass man in den Rockcity-Studios an der Weyerstraße in Solingen-Wald die Zeit vergessen muss, um zu verstehen, was hier abgeht.
„Die sind grad noch abendessen“, antwortet Carsten entspannt, er kennt das nicht anders. „Ist halt Rock‘n‘Roll. Da schläft man bis mittags, fängt abends an und probt bis in die Nacht. Kann sein, dass die nachher noch bis drei Uhr hier sind.“

Dürften sie auch, denn das Studio ist nicht nur atemberaubend schön eingerichtet, es ist auch so gut schallisoliert, dass man dort rund um die Uhr rocken kann, ohne irgendwen zu stören. Am Ende wird es halb zwölf, auch Doro braucht nachts ihren Schlaf.

Sie kommt gut eine Stunde, nachdem die Band schon eingetrudelt ist und in Ruhe alles angeschlossen hat. Die Band: Bas aus Belgien, Luca aus Italien, Johnny und Nick aus den Staaten. Nick, ein 1,95 Meter-Hüne, spielt über 20 Jahre für Doro Bass und ist so unglaublich nett und höflich, dass es mir schon unangenehm ist. Und dann tritt sie durch die Tür. Die blonde Legende aus Düsseldorf, die mit Warlock zur Metal-Queen wurde und seit 30 Jahren nichts anderes macht als: Alben aufnehmen, touren, Songs schreiben, touren und wieder ins Studio gehen.

Kurz nach halb elf macht Doro die erste Pause

Seit einiger Zeit macht sie das in Solingen, der Kontakt kam über einen Bekannten von Carsten Steffens zu Stande, der für Doro ein Studio suchte, das so groß ist, dass eine komplette Band dort gemeinsam proben und aufnehmen kann. „Und so was wie uns gibt es gar nicht mehr so oft“, sagt Carsten Steffens, der sein Studio seit 22 Jahren betreibt.

Doro, klein, mit Brille, sehr herzlich und gut gelaunt, kommt erst mal an, bespricht sich mit Carsten und verschwindet im Studio. Na ja, was heißt verschwindet: Durch die Scheibe können wir ihr zuschauen, und dank der Studiotechnik natürlich auch mal reinhören, wie sie mit ihrer Band alte und neue Songs probt, auch mal einige Ansagen testet, an Arrangements feilt und natürlich singt, singt, singt. Das dauert, denn die erste Pause, in der wir zusammen Kaffee trinken (außer Carsten, der kriegt das Zeug einfach nicht runter), über Festivals philosophieren und über ihren anstehenden Auftritt am Weissenhäuser Strand plaudern, wird sich Doro erst irgendwann nach 22 Uhr gönnen. Gut, denn so kann mir Carsten Steffens in Ruhe seine Geschichte erzählen. Denn die ist auch richtig spannend.

Sie handelt von …

… einem Jungen, der sich mit vier Jahren das Schlagzeugspielen selber beibringt. Der zwei Jahre später das erste Mal bei einem Auftritt der Band seines Vaters die Drums bearbeitet und in den nächsten Jahren so ein hervorragender Schlagzeuger wird, dass er sich nach dem Fach-Abi gleich an vier Musikhochschulen bewirbt und an allen die
Aufnahmeprüfung besteht.
Dabei hatte er bis dato keinen Schlagzeugunterricht.

Sie handelt von …

… einem jungen Mann, der sich schließlich für ein Konservatorium im holländischen Arnheim entscheidet, weil da seine Idole unterrichten. Der aber das Studium nicht abschließen kann, einfach weil das Geld fehlt. Der die Musik trotzdem weiter liebt und lebt, sich selbst Bass- und Rhythmusgitarre sowie Keyboardspielen beibringt. Und immer wieder mit den verschiedensten Bands unterwegs ist. Mit Soul-Legende Gloria Gaynor auf der Bühne steht. Als Blues- und Latindrummer für Furore sorgt. Dann als Aushilfsschlagzeuger der Cross-over-Band H-Blockx, deren erstes Album er Anfang der 90er Jahre bereits als Assistent mit begleitet und als Vorband von Bon Jovi auf Tour geht. Von seinen Bühnengagen hat er sich im Jahr 1995 den Traum vom eigenen Studio erfüllt. Denn: „Ich wollte schon immer mehr als Musik machen. Ich wollte sie produzieren. Habe mich immer für den ganzen Prozess des Musikmachens interessiert.“ 

Sie handelt von …

… einem Soundexperten, zu dem Carsten Steffens vor allem in den letzten Jahren geworden ist. Er produziert auch kleine Independentbands, lokale Coverbands, sogar Chöre. Musiker unterschiedlicher Stilrichtungen. Und er hat ein unglaubliches Gespür für Rhythmen, Harmonien, Songstrukturen.

Wenn er zwischendurch mal Demos vorspielt, die er bekommen hat, und dann zum Vergleich den von ihm fertig produzierten Song laufen lässt, schlackert man mit den Ohren.

Natürlich kann einer wie Carsten Steffens tausendundeine Geschichte erzählen. Macht er während des Abends auch. Darunter die von Richie Sambora, dem Gitarristen von Bon Jovi, der dem Alkohol bekanntermaßen nicht ganz abgeneigt war und ihm nach einem Gig in München unbedingt Whisky-Cola spendieren wollte, dabei „trinke ich keinen Tropfen Alkohol, rauche nicht, mag nicht mal Kaffee“, stellt Carsten Steffens klar. Diese Askese fand Sambora an jenem Abend, als er fast schon stramm wie eine Haubitze vom Hocker fiel, dann gar nicht mal so uncool. Eine andere Geschichte ist die von den illustren Gästen, die bei ihm immer wieder mal vorbeischauen. Wie Helge Schneider, der Doro Pesch auf dem Wacken-Festival kennen lernte und kurz darauf mit ihr einen Song aufnahm. Oder der Schlagzeuger der Simple Minds, der an der Weyerstraße auch schon auf den Drums trommelte.

Klingt doch alles nach einer Erfolgsstory, denke ich, während Doro Pesch um kurz nach halb elf noch ein paar Balladen spielt. Aber es ist eine Geschichte des Kampfes. Denn die Tagessätze, die selbst größere Bands und ihre Plattenfirmen für ein Studio ausgeben wollen, sind nicht gerade die höchsten. Und nachdem die private Musikschule, an der Carsten Steffens einst Unterricht gab, schließen musste, lebt er ausschließlich von den Rockcity-Studios. Aber er lebt eben auch für sie. Und wer weiß? Vielleicht beginnt mit dem Gastspiel von Doro Pesch und ihrer Band ja eine neue Ära. Vielleicht wissen es immer mehr Bands, die ja heute vor allem von ihren Konzerten leben müssen, weil allein der Verkauf von CDs und Downloads von Songs für sie nicht mehr reicht, zu schätzen, dass es in Solingen-Wald ein
Studio gibt, in welchem auch eine sieben- oder achtköpfige Band unter Livebedingungen Songs aufnehmen kann.

Es ist kurz nach elf geworden. Nachdem Doro zwischendurch gefragt hat, wie lange sie denn dürfte, und Carsten Steffens antwortete: „So lange ihr wollt“, da habe ich erst überlegt, noch einen Kaffee aufzusetzen, aber jetzt macht sie doch Feierabend. Aber ich bin sicher: Carsten Steffens hätte auch bis nachts um zwei gewartet. Es ist diese Unkompliziertheit, dazu die besondere Atmosphäre und Größe des Studios und letztlich auch das Können des 49-jährigen Solingers, die es Doro und ihrer Band so angenehm machen. Hier machen sie ungestört Musik. Ohne Allüren, ohne Stress.
Dann steigt Doro in den Wagen und fährt durch die Nacht zurück nach Düsseldorf. Ihre Musiker steigen in einen alten Ford Focus und machen sich auf in die Niederlande, wo einer aus der Band wohnt.

Carsten nimmt mich noch einmal mit ins Aufnahmestudio und erklärt mir, wie die Technik funktioniert. „Mensch, so schnell gehen fünf Stunden rum“, sagt er abschließend, löscht das Licht und freut sich schon auf morgen. Dann kommt Doro wieder.

Ein Artikel aus dem Engelbert Solingen, Ausgabe 25.
Fotos: Daniel Juhr