Solingen ist eigen. Auch, was seine Musikszene angeht. Viele bleibende Spuren haben die meisten Musiker in den vergangenen 60 Jahren überregional zwar nicht hinterlassen, doch den Solingern sind ihre Idole heilig. Eine Band, die es in ihrer knapp 50-jährigen Geschichte zu Weltruhm gebracht hat, ist allerdings Accept. Mit Gitarrist Wolf Hoffmann begeben wir uns auf Spurensuche in der alten Heimat.
Rock City No.1
Solingen ist „Rock City No.1“: So lautet ein bekannter Slogan, der die Klingenstadt als besonders umtriebige Metropole für moderne Unterhaltungsmusik ausweist. Das hat einiges mit der wahrscheinlich bekanntesten Solinger Band zu tun: Accept. Die wohl erste und ikonischste Heavy Metal Band Deutschlands hat seit den frühen 80ern unzählige Hit-Alben veröffentlicht und millionenfach absetzen können. Die Band ist nach wie vor regelmäßig auf Welttournee. Ihr Album „Blind Rage“ schaffte es 2014 erstmals in der mittlerweile fast 50-jährigen Geschichte den Sprung auf die Pole Position der deutschen Albumcharts. Das aktuelle Werk „Humanoid“ stieg im vergangenen Jahr auf Platz fünf ein. Warum gerade die Klingenstadt die erfolgreichste deutsche Metal Band hervorgebracht hat, weiß Gitarrist Wolf Hoffmann zwar nicht genau, er hat aber so eine Ahnung: „Ich glaube, der Sound hat eine Menge mit der Region zu tun. Die Geburtsstadt des Heavy Metal ist die englische Industriestadt Birmingham, die Black Sabbath und viele weitere härtere Gruppen hervorgebracht hat. Das ist in meinen Augen kein Zufall.“ Das Flair einer Industriestadt besaß Solingen in den 70ern mit Sicherheit auch. Und wer jahrzehntelang so scharfe Klingen wie hier schmiedet, der darf sich eben auch nicht wundern, dass sägende Metal-Riffs im Herzen eben dieser Stadt entstehen.
Die Ursuppe
Laute und irgendwie vertraute Klänge schallen am Abend des 11. Januar dieses Jahres unter dem Motto „Rock City Is Electric“ durch die Cobra. 60 Jahre lokale Rock-Historie wird so aufgearbeitet wie es sich gehört – live on stage! Da stehen sie also wieder vor einem begeisterten Publikum: The Mods, Promotion Soul Concern, Lonestars, S.Y.P.H., Jet Bumpers, Rausch, The Cheeks, Suzan Köcher’s Suprafon und die Blackberries. Und vielen wird an diesem Abend klar: Musik ist eine Zeitkapsel, in die man immer wieder einsteigen und sich zu den emotionalsten Phasen seines Lebens transportieren lassen kann. Am 11. Januar stehen einige Piloten dieser Zeitkapseln also vereint auf der Bühne vor großem Publikum: der legendäre Coco Teuber, der früher mit den Mods musizierte; Hermann Daun, der mit Promotion Soul Concern in den 60ern seine rauchige und vor Charisma bebende Stimme in Szene setzte und heute bei Downtown spielt; die Lonestars, die seinerzeit den Beatles zumindest in Solingen und Umgebung Konkurrenz machten. Und die Fans bejubeln ihre Idole von damals nach wie vor. Auch jüngere Anhänger staunen: Da geht offenbar in Zukunft noch einiges.

„Was ein Wahnsinn“
Wolf Hoffmann hat von der Beat-Hysterie in seiner Stadt nicht viel mitbekommen. Als die Mods und die Lonestars ihre Gigs in der Stadt und der Umgebung hatten, war der heute von vielen als Guitar Hero verehrte Bergische Jung, Jahrgang 1959, gerade mal im Grundschulalter. „Der Name Coco Teuber war mir natürlich geläufig, auch wenn wir keine direkte Verbindung hatten. Und auch von Herrmann Daun habe ich gehört. Der war damals schon bekannt. Ich selber bin aber in Wuppertal aufgewachsen und erst 1976, mit zarten 17 Jahren, zu dieser Solinger Band namens Accept gestoßen.“ Letztere probte seinerzeit in einem überschaubaren Proberaum am Kannenhof. „Das war so eine Tagesstätte. Im Obergeschoss haben Rentner Skat gespielt, und im Keller war ein kleiner Abstellraum, in dem früher mal der Rasenmäher geparkt war“, sagt Hoffmann. Ein städtischer Mitarbeiter hatte offenbar die Idee, dass man dort doch einen Übungsraum für Bands einrichten könnte. Hoffmann erinnert sich: „Am Ende war das ein muffiger, feuchter Keller ohne Fenster, aber immerhin unser Proberaum. Natürlich gab es immer einen Kasten Bier, und alle außer mir haben damals geraucht, das war schon intensiv (lacht). Irgendwie hat man das gar nicht wahrgenommen. Wenn ich da heute dran zurückdenke, sage ich mir nur: Was für ein Wahnsinn!“
Drei bis fünf Jahre lärmten Accept in dem kleinen Raum, bevor man etwas Besseres fand. „Vor einigen Jahren war ich nochmal dort und musste echt schlucken. Man kann sich heute gar nicht mehr vorstellen, dass sich in dem winzigen Loch fünf Leute mit Instrumenten aufgehalten haben. Ich erinnere mich, dass wir irgendwann in ein Kühlhaus umgezogen sind. Das war auch abenteuerlich. Aber das größte Problem stellten immer die Nachbarn dar, die sich irgendwann beschwerten. Es war unglaublich schwer, etwas Vernünftiges zu finden. Einmal, als wir bereits Erfolg hatten, sind wir auch mal zu jemandem von der Stadt gegangen und haben ihm gesagt: ‚Mensch, wir sind doch Solinger und wollen den Namen der Stadt in der Welt berühmt machen. Könnt ihr uns nicht in einer der vielen leerstehenden Industrieimmobilien einen Proberaum zur Verfügung stellen?‘ Da ist nie etwas draus geworden“, sagt er achselzuckend.
Die Solinger Szene Ende der 70er
„Wir sind nach der Probe oft in eine Pizzeria namens ‚Da Gino‘ gegangen. Oder in die Beckmann Brauerei, wo man Feten feierte und sich ab und zu austauschte. Ansonsten gab es natürlich die eine oder andere Band in Solingen oder Wuppertal, die man sich anschaute. Aber die meisten dieser Gruppen spielten eher Krautrock. Wir wollten jedoch immer schon härtere Sachen machen“, erinnert sich Hoffmann, der seit Jahren in den USA lebt. Das lag natürlich auch an der unverwechselbaren Reibeisenstimme von Sänger Udo Dirkschneider, die in den frühen 80ern zum Markenzeichen Accepts wurde.
Eine der allerersten Accept-Shows fand seinerzeit im Haus der Jugend an der Dorper Straße statt. Wolf Hoffmann erinnert sich an die eher pragmatischen Umstände, die zum Gig führten: „An den Auftritt kamen wir, weil wir damals eine der wenigen Bands waren, die bereits eine eigene P.A.-Anlage besaß. Das war alles selbst gebaut. Gerhard Wahl, der zweite Gitarrist, der damals noch in der Band war, konnte das alles. Darum hat er auch später Elektrotechnik studiert. Wir hatten selbstkonstruierte Nebelmaschinen, eigene Lampen, das war schon toll.“ Damit hoben sich Accept von Beginn an von anderen Bands aus der Umgebung ab und machten auch überregional auf sich aufmerksam. Mit Erfolg. Zunächst tingelte man durch die Jugendzentren und spielte Konzerte, die von der Stadt organisiert wurden. „Da kamen wirklich viele Hundert Leute, weil es damals eben noch nicht die Masse an Konzerten gab. Man muss sich das so vorstellen, dass das alles über ein paar Plakate und Mund-zu-Mund-Propaganda lief. Die Leute hatten einfach richtig Lust auf Musik.“ Und folgten der Band überall hin. Ob sie im Jugendzentrum auftrat oder in der Schul-Aula: Alles wurde zum riesigen Konzert-Venue umfunktioniert, um die Stars von morgen zu feiern.
Vom Krautrock zum Metal
Die eigentliche Band-Geschichte startet etwa 1978, als Bassist Peter Baltes die Truppe bei einem Nachwuchswettbewerb namens „Pop am Rhein“ in der Düsseldorfer Philipshalle anmeldete. „Peter hat da eines unserer Demos hingeschickt. Man muss dazu sagen, dass wir immer sehr diszipliniert gearbeitet und die Proben stets mitgeschnitten haben. Da sind schon ein paar vernünftige Bänder entstanden.“ Der erste Preis war ein Plattenvertrag. Hoffmann: „Wir haben zwar nicht gewonnen, aber im Publikum stand ein gewisser Wolfgang Schunke, der ein Studio in Wilster bei Itzehoe hatte, das sogenannte Delta Studio. Dem hat unser Auftritt gefallen, und er lud uns ein, professionelle Aufnahmen zu machen“, sagt der Gitarrist. Also packten die bergischen Buben ihre sieben Sachen und gondelten hoch in den Norden, um die ersten Erfahrungen in einem Umfeld zu machen, in dem sich „richtige“ Musiker bewegten.
Die Aufnahmen halfen weiter. Schnell war klar, dass die Songs wirklich gut waren und hier etwas Großes entstehen könnte. Accept unterschrieben kurz darauf beim Hamburger Label Brain Records, das einige Jahre zuvor auch schon das Debüt der Scorpions veröffentlicht hatte. Nach ihrer Stilrichtung musste die Band wie gesehen nur kurz suchen, denn vom Heavy Metal war man früh überzeugt. Auch hier ging es im Grunde wieder um ein Alleinstellungsmerkmal. Hoffmann: „Wir waren tatsächlich die erste richtige Metalband in Deutschland. Es gab ja noch die Scorpions, die aber bereits etwas amerikanischer klangen und kommerzieller waren. Wir haben diverse Dinge musikalisch ausprobiert, aber der Heavy Metal passte eben am besten zu uns.“
Dennoch ist das selbstbetitelte Accept-Debüt von 1979 im Grunde eine klassische Krautrock-Platte, so viel muss man ehrlicherweise sagen. „Das stimmt, die Platte ist ziemlich experimentell gewesen. Es gab damals Songs, von denen niemand genau wusste, wer sie wann geschrieben hatte. Die wurden dann etwas umfrisiert und irgendwie auf das Album gepackt.“

Solinger Musik seit den 1980ern
Danach ging es für Accept rasant bergauf. Die Folgealben „I’m A Rebel“ (1980), „Breaker“ (1981), „Restless And Wild“ (1982), „Balls To The Wall“ (1983) und „Metal Heart“ (1985) waren nicht nur stilistisch klarer, sondern verkauften sich auch wie geschnitten Brot und verhelfen der Band zu Weltruhm.
Und damit verabschiedeten sich Accept zunächst aus Solingen. So bekamen sie die Gründung diverser wichtiger Institutionen ab Mitte der 80er gar nicht mehr mit. Der „Cow Club“ öffnete beispielsweise seine Türen, um lokalen Nachwuchsmusikern eine Chance auf echtes Live-Feeling zu ermöglichen. Aber auch größere Events werden auf die Beine gestellt. Der von Musikern und Kulturschaffenden organisierte Verein hilft zudem bei der Proberaumsuche oder bietet allgemeine Beratungen an.
Rock City im Hier und Jetzt: Tipps der Redaktion
Bereits seit 2009 sind die Psych-Rocker Blackberries im Geschäft und werden stetig erfolgreicher. Auf drei Alben hat es die Truppe um Julian Müller bereits gebracht und spiegelt nicht selten den verkorksten Zustand unserer Welt in ihren Songs wider. 2022 erschien das bis dato letzte Album „Vorwärts Rückwärts“.
Seit der Pandemie ist die Band Lyschko um Sängerin Lina Solingens heißester Export in Sachen Rock. Export nicht nur, weil die Indie-Formation mittlerweile nach Berlin ausgewandert ist, sondern auch, weil die Klingenstadt sie offensichtlich zum Erfolg verdammt hat, wie Lina Holzrichter dem „Ox-Fanzine“ mitteilte: „Aus Solingen zu sein, gehört zu uns und zu unserer Geschichte, und ich glaube, es wäre alles anders passiert, wenn wir nicht von hier wären. Unser Antrieb kam ja nicht daher, dass wir die motiviertesten Macher in der Welt sind, sondern weil viel aus der Not heraus passiert ist. Wären wir in einer Stadt aufgewachsen, in der man sechs Tage die Woche hätte ausgehen können, weiß ich nicht, ob wir dann sechs Tage die Woche im Proberaum abgehangen hätten.“ Nun ja, es ist eben ein spezielles Kompliment. Das aktuelle Lyschko-Album „Niedergang II“ ist so positiv wie wild und emotional geraten und verdient definitiv, dass man hineinhört.
Etwas poppiger, aber ebenso emotional agiert das Duo Leise. Kiki Nolden und Haluk Koudsi bringen Songs an den Mann und die Frau, die ein positives Lebensgefühl vermitteln sollen. Im Oktober 2024 wurde dieses Gefühl jäh von einem niederträchtigen Verbrechen unterbrochen. „Nach dem für uns wunderbaren Auftritt auf der Bühne Fronhof wurde ein niederträchtiger Messeranschlag von einem Mann auf die Zuschauer des Festivals verübt, der drei unschuldige Menschen aus dem Leben reißen und zahlreiche weitere verletzen sollte“, schreiben sie unmittelbar nach dem Anschlag, der während der 650-Jahr-Feier der Stadt Solingen stattfand, auf ihrer Website. „Und trotzdem werden wir uns von solchen Menschen und Tätern nicht einschüchtern lassen. Denn genau das ist ihr Ziel: Unser wunderbares Leben in Freiheit, unsere Demokratie und unsere Art zu feiern ins Wanken zu bringen“, fahren Kiki und Haluk fort. Und das sind doch gute Nachrichten.
Marcus Italiani
Titelbild: Christoph Vohler
