Ein Sommermärchen aus Solingen

Christoph Kramer hat mit seinem Roman „Das Leben fing im Sommer an“ die Bestsellerlisten gestürmt. An vielen Stellen klingt das Buch des Fußballers wie eine Liebeserklärung an seine Heimatstadt Solingen.

Die Welt stand Kopf. Gerade hatte die deutsche Fußballnationalmannschaft gegen Argentinien gewonnen. In Deutschland lagen sich im Sommer 2014 die Menschen auf den Straßen in den Armen. In den Katakomben des Maracanã-Stadions in Rio de Janeiro halten Lukas Podolski und Bastian Schweinsteiger den Pokal in die Kamera. Christoph Kramer kommt dazu. „Nehmt Kölle auseinander“, ruft Poldi übermütig. „Gruß nach München“, sagt Schweinsteiger. Und dann hält der Moderator Christoph Kramer das Mikrofon hin. Der grüßt seine Oma. Die habe heute Geburtstag und er habe sie nicht erreichen können.

Roman mit biografischen Zügen

Wer elf Jahre später das Buch von Christoph Kramer zur Hand nimmt und zu lesen beginnt, fühlt sich gleich auf den ersten Seiten an diesen Moment nach dem WM-Finale erinnert. Wieder erwähnt Christoph Kramer seine Oma. „Warum hatte ich gerade wegen einer Lappalie auf meine Oma geschworen?“, fragt seine Hauptfigur Chris gleich im ersten Kapitel. Und auch, wenn der Autor kurz zuvor klargestellt hat, dass alle handelnden Personen in seinem Roman frei erfunden und Ähnlichkeiten mit realen Personen rein zufällig seien, hat der Leser doch fortwährend Christoph Kramer vor Augen. Schließlich spielt sein Roman „Das Leben fing im Sommer an“ genau dort, wo er selbst als 15-Jähriger aufwuchs: in Solingen. Dort verankert er die Geschichte eines 15-Jährigen, der mitten im Sommermärchen 2006 die emotionale Achterbahnfahrt eines Teenagers erlebt – zwischen Freundschaft, erster Liebe und dem großen Traum vom Fußballprofi. „Aber ich wollte nicht ein weiteres Buch über irgendetwas mit Fußball schreiben“, hat Christoph Kramer in einem Interview verraten, „einfach, weil ich ein Buch schreiben wollte, das ich selber auch kaufen würde. Und ich liebe Fußball zwar und gucke gerne Fußball. Aber ich lese nicht gern über Fußball!“ Stattdessen würden ihm Coming-of-Age-Romane gefallen. „Bei all den Dingen, die uns beim Erwachsenwerden prägen, hatte ich sofort tausend Szenen und Erinnerungen im Kopf, die ich aufschreiben wollte“, erzählt Kramer. Und wer ein bisschen rechnet, kommt schnell darauf, dass Christoph Kramer im legendären Sommer 2006 selbst gerade 15 war. Es wundert also nicht, dass sein Debütroman am Ende doch viele autobiografische Züge hat.

Foto: Markus Tedeskino

Lokalkolorit zwischen den Zeilen

Das spüren die Leser, die selbst im Bergischen Zuhause sind, schnell. „Ich hatte vor dem ‚Saitensprung‘ in Solingen gestanden und mich nicht reingetraut“, erzählt die Hauptfigur. „Auch die Geschichte, dass ich mit einer Lisa oder Laura aus Remscheid lange draußen gestanden hatte, schien mir keiner abzukaufen.“ Zwischen den Zeilen des Bestsellers klingt Lokalkolorit mit. Kein Wunder, dass auch die geplante Verfilmung des Romans in Solingen gedreht werden soll – wie Christoph Kramer jüngst bei einer Lesung in der „Cobra“ verkündet hat. Seine Geschichte zieht Kreise, wird zur Liebeserklärung an seine Heimatstadt und an die letzten wertvollen Jahre der 2000er, in denen das Handy noch nicht jeden Weg begleitete. Gleichzeitig wird sie zum Bestseller, zum Stoff für Fußballfans und Teenies gleichermaßen, für Freunde guter Geschichten und großer Gefühle. „Ich glaube, die meisten von uns fühlen vielleicht nie wieder so intensiv wie in der Jugend, in dieser Zeit schlagen wir uns alle mit denselben Problemen rum, die uns übergroß erscheinen. Im Nachhinein lacht man dann über vieles. Aber sind wir mal ehrlich: Das sind die Jahre und die Menschen, die uns zu denen machen, die wir unser ganzes Leben lang bleiben“, sagt er. Diese Einsichten über das Leben klingen auch in seinem Buch mit – und sie erklären immer mal wieder auch den Fußballer und den sportlichen Erfolg. Denn sowohl der junge Chris im Roman als auch Christopher Kramer spielten 2006 bereits für die Jugendabteilung von Bundesligavereinen – auf dem besten, wenn auch mühsamen Weg zur Fußballspitze. „Meine besten Spiele hatte ich gemacht, wenn vorher etwas Trauriges passiert war. Etwas, das mich enttäuscht hatte“, lässt Kramer seine Hauptfigur sagen.

Überrascht vom Erfolg

Es ist, als hätten Christoph Kramer diese Worte schon lange auf der Zunge oder viel mehr auf der Tastatur gelegen – die tiefen Einsichten genauso wie die Bilder einer Jugend und einer Stadt. „Es war schon immer mein Traum, ein Buch zu schreiben“, sagt der frisch gebackene Bestsellerautor, „aber als ich angefangen habe, dachte ich eigentlich noch, dass ich es gar nicht veröffentlichen würde.“ Noch kurz, bevor der Titel im März 2025 erschien, zeigte er sich unsicher, ob die Geschichte bei den Lesern ankomme. Der riesige Erfolg habe ihn selbst ein bisschen überrascht, hat er jüngst in einem Interview gesagt und gleichzeitig erzählt, dass er bereits an einem neuen Titel arbeitet. Für den Film hat er selbst Musik komponiert, die den Namen seines Buches trägt. Und wer Christoph Kramer heute zuhört, der entdeckt darin den Fußballer genauso wie den Autor, den Solinger genauso wie den Weltbürger, den Beobachter genauso wie den Macher – einen, der eben auch im größten Jubelrausch seines Lebens an seine Oma denkt.

Theresa Demski
Foto: Markus Tedeskino

Buchtipp
Christoph Kramer: Das Leben fing im Sommer an,
Kiepenheuer&Witsch, März 2025, 256 Seiten,
ISBN 978-3-462-00798-5, 23 Euro.