Er blickt zurück. Und nach vorn.

33 Jahre bei der Bayer AG. Fünf Jahre Geschäftsführer von Bayer 04 Leverkusen. Und jetzt: Ruhestand. Na ja, fast. Michael Schade erzählt davon, wie es sich anfühlt, plötzlich viel Zeit zuhaben.
Aber längst nicht nur davon.

Michael Schade schlendert durch den Schaberger Sommer. Über die Terrasse. Vorbei an der grandiosen Wasserlandschaft hinter seinem Haus, dann über den Rasen. Er hält inne. Blickt sich um. „Jetzt“, sagt er und lächelt, „habe ich endlich die Zeit, das alles auch mal richtig zu genießen.“ So spielt das Leben: Der einstige weltweite Kommunikationschef der Bayer AG, der beruflich in mehr als 50 Länder reiste, genießt seinen Ruhestand in einem Haus, das keine 300 Meter von dem entfernt liegt, wo er, der Sohn der Solinger Sportlegende Herbert Schade, einst aufwuchs.

Und so befremdlich auch für ihn selbst die Wortkombination Schade – Rentner klingt, es ist jetzt so. Seit Juli. Beim ersten Treffen mit ENGELBERT war er zuvor Geschäftsführer von Bayer Leverkusen geworden. Nun das zweite, an seinem ersten echten Tag im Ruhestand. Nach seinem fünften Jahr bei Bayer 04 und mit genau fünfundsechzigeinhalb Jahren ist nun Schluss. Natürlich nicht so ganz, denn Schade sitzt nach wie vor im Gesellschafterausschuss der Werkself, wird deren Heim- und auch zahlreiche Auswärtsspiele besuchen und freut sich schon auf die Reisen im internationalen Wettbewerb, die er früher immer verbunden mit Dutzenden Terminen organisiert hat und jetzt einfach mal ganz stressfrei erleben darf. Als Fan. Klar, dass einer wie Schade eher in den Unruhestand wechselt. Er wird sich viel Zeit nehmen für den Enkel, das ist fest versprochen, und er wird sicher manche der Dutzend Ehrenämter annehmen, die ihm bereits angeboten wurden, denn „da ist doch einiges Interessantes dabei“. Und auch wenn er an das Schreiben eines Buches momentan aber mal so gar nicht denken mag: Erzählen kann er eine Menge. Macht er auch, mit seiner ruhigen, tiefen Stimme. So lange, so lebendig, dass er irgendwann augenzwinkernd bemerkt, jetzt verfiele er aber doch ins Labern, was natürlich gar nicht stimmt.

„Ich bin momentan schon etwas zwiegespalten, denn ich habe ein unglaublich abwechslungsreiches Berufsleben hinter mir. Mit dem Geschenk, dass ich in den letzten fünf Jahren noch einmal im Sportmanagement tätig sein durfte. Das wollte ich immer, schon während meiner Anfänge als Sportjournalist. Und dann kommt nach 33 Jahren im Management bei der Bayer AG der Aufsichtsratsvorsitzende von Bayer Leverkusen, Werner Wenning, auf mich zu und sagt: Ruhestand? Nee, nee, Herr Schade, Sie machen jetzt Fußball! Und da kann man dann nicht Nein sagen. Das war auch alles ungeheuer spannend, das habe ich wirklich genossen, aber irgendwann kommt man in ein Alter, wo man drüber nachdenken muss, aufzuhören und die Verantwortung in jüngere Hände zu geben. Das ist jetzt der Fall. Nun werde ich mich einfach mal um Haus und Hof kümmern, nachdem ich wirklich immer 24/7 gearbeitet habe. Ich freue mich aber auch als Zuschauer auf die Heimspiele von Bayer 04, wenn ich währenddessen mal nicht an Zahlen denken muss.“ Denn früher liefen während der Spiele zig Zahlenfilme ab. Schade, der PR-, Akquise- und Marketingprofi, der immer neue Kunden und Sponsoren finden wollte und auch fand, gab im Hintergrund alles. Blöd nur, wenn dann auf dem Platz nicht alles rundlief.

„Wir hatten eines der ersten Champions-League-Spiele in meiner Amtszeit gegen Manchester United. Ich hatte zehn potenzielle Kunden in die VIP-Lounge eingeladen. Dann verlieren wir das Spiel mit 1:5. Und nach dem Schlusspfiff ist kein Kunde mehr da. Ich könnte Ihnen einige dieser Beispiele erzählen.“

„Ich bin ein fanatischer Solinger.“

Zum Glück gibt es noch viel mehr gegenteilige. Denn Schade hat bei der Bayer AG wie bei Bayer Leverkusen eine Menge bewegt. Weil er kaufmännisch und nachhaltig denkt. Weil er es verstand, die Digitalisierung und die sozialen Medien für die Vermarktung der Mannschaft zu nutzen. Weil er die Werkself international vermarktet hat, in Asien ebenso wie in den USA. Dafür trieb er einen gewaltigen Aufwand, verbunden mit einer Vielzahl an Reisen, Präsentationen, viel Geld – und Geduld. In China begeistern sich die Menschen erst seit diesem Jahr auch für die deutsche Fußball-Bundesliga. Jede Woche schauen 300 Millionen Menschen die Spiele. Das Potenzial ist enorm. Um es zu nutzen, muss man groß denken, was Michael Schade immer getan hat. Dabei aber, und das zeichnet ihn ganz besonders aus, ist er stets Mensch geblieben. Hat oft die Position der Fans eingenommen, die es ihm weiß Gott nicht immer leicht gemacht haben.
Hat aus einem reinen VIP-Bereich eine Fankneipe für 400 Gäste gemacht, die zwar weniger einbringt, aber bei jedem Heimspiel rappelvoll ist und inzwischen Kultstatus genießt. Hat soziales Engagement bei Bayer Leverkusen zur Chefsache gemacht. Und unter anderem vielen schwerkranken Menschen den Wunsch erfüllt, noch einmal ein Heimspiel zu sehen. Für sie ließ er dann jedes Mal sein eigenes Büro leer räumen, von dem man die gesamte Arena toll überblickt. Das Kunststück, im Multimillionen-Euro-Business bodenständig und menschlich zu bleiben, ist Michael Schade geglückt. Auch, weil er, wie er sagt, Freunde hat, die einem die Wahrheit sagen. Freunde und Familie aus der bergischen Heimat.

„Die machen einem dann schon klar, wenn man mal etwas abgehoben ist. Oder wenn man mal wieder dazu neigt, keinen beruflichen Termin abzusagen, aber zunehmend die privaten.“ Alles Menschen aus Solingen. Die Michael Schade sehr schätzt, ebenso wie die Stadt und die Region selbst. „Ich bin ein fanatischer Solinger. Ich hatte 20 Jahre lang meinen Stammtisch hier beim Griechen in Schaberg, und auch wenn ich mal vom Flughafen in Singapur anrufen musste, dass es etwas später wird, ich bin gekommen. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, irgendwo anders zu leben. Ich spreche noch Solinger Platt, ich mag diesen Menschenschlag, der nicht ganz einfach ist, ich mache auch gerne volkstümliche Dinge wie Kegeln oder Skat spielen. Und ich finde es wunderbar, den Wasserhahn aufzudrehen und das beste Wasser zu trinken, das es überhaupt gibt. Ich finde das Bergische Land wirklich dramatisch faszinierend.“

Michael Schade hat nun mehr Zeit denn je, dieses Bergische Land, dieses Solingen vielleicht noch einmal ganz neu zu entdecken. Von dem Haus in Schaberg aus, neben dem früher einmal das Milchgeschäft stand, in dem er als Kind immer die Milch holte. Das er mit viel Liebe zum Detail hat restaurieren und modernisieren lassen. Und wo er sich auf eines ganz besonders freut. „Langeweile. Das kann sich vielleicht keiner vorstellen, aber für mich ist das ab und an ein Traumzustand: Einfach mal einen Tag zu haben ganz ohne Pläne. Sich nur entscheiden zu müssen, schaut man jetzt fern, liest man ein gutes Buch – was ich sehr gerne tue – oder spielt man Skat am PC. Langeweile kann so entspannend sein! Ein Idealzustand, den ich wirklich genießen werde. Aber ich bin sicher, dass es kein Dauerzustand werden wird.“

Foto: Bayer 04

Ein Artikel aus dem Engelbert Solingen, Ausgabe 28.