Die Mutige

Sie macht selten Pläne. Gut so. Bleibt mehr Platz für die
Kreativität. Die macht den Erfolg von Nina Zywietz aus. Seit
Jahren. Nicht erst, seit die Solingerin Kreativdirektorin der Berliner Agentur Bold ist. Gedanken von einer, die wunderbar anders tickt.

Da steht sie. In den 90er Jahren. Abi in der Tasche. Nur absolut keinen Plan. Wie auch? Auf dem Gymnasium in Solingen, wo sie gegenüber ihren Lehrern leider eher Unverständnis verspürt hat als Vertrauen, hat ihr den keiner mitgegeben. Ja, und jetzt? Studieren? „Was sonst? Ich hatte ja absolut keine Idee, was ich im Leben machen wollte. Wo, wie und was ich arbeiten könnte.“ Also zur Bergischen Uni, Psychologie studieren. Warum auch immer. Ihr geht es gar nicht primär um das Fach, sondern um das Studieren an sich. Um ein Selbstmanagement und konkrete Interessen erst einmal zu entwickeln. Sich Zeit zu geben. Umwege nicht als störend, sondern willkommen zu empfinden. Weil sie einen reifen lassen. Empowerment, jene so wichtige Selbstbestimmung über das eigene Leben, das einem in der Schule keiner beibringt, erst mal zu lernen. Nina Zywietz nimmt sich diese Zeit. Und entdeckt, Stück für Stück, ihre Kreativität, ihren Mut – und dass sie in der Kommunikations- und Kreativbranche vielleicht nicht ganz falsch ist. Sagen wir‘s mal so: Wer heute Kreativdirektorin und Vice President von Bold, einer der fünf angesagtesten Kommunikationsagenturen Deutschlands, ist, hat wohl so einiges richtig gemacht.

„Vielleicht ist es so gekommen, weil ich erst einmal kein Ziel hatte. Das ist doch auch das Schöne im Leben: So entdeckt man neue, andere Dinge. Wenn ich heute nach einem Fotografen suche, lande ich plötzlich in einer Netflix-Doku über Gehirnforschung, einfach, weil mich meine Neugierde dort hinleitet.“

Ihre Interessen führen sie nach dem Studium direkt nach Berlin. Raus aus dem Bergischen. In einer Zeit, als dort, in der Hauptstadt, nur wenige Jahre nach der Wiedervereinigung, die Post abgeht. Nina Zywietz fängt bei einer Kommunikationsagentur an und geht gleich in die Vollen.

„Acht Jahre war ich dort – und direkt für den Relaunch der Marke Adidas Originals mitverantwortlich. Zu einer Zeit, als die bis dato nicht so angesagt war. Das war schon eine unglaubliche Chance, ich durfte um die halbe Welt reisen, nach Japan, China, Amerika. Ich habe später auch eine Zeit in London gelebt und die Erfahrung gemacht, dass man sogar eine banale Krankenversicherung schätzen lernen kann. Unser deutscher Pragmatismus ist doch ganz schön sexy.“

Das sagt Nina Zywietz nicht nur, darüber schreibt sie auch. Zum Beispiel in ihrem Buch „The Germans“, in welchem sie mit dem Blick von außen auf Deutschland schaut – obgleich sie hier, seit einigen Jahren in Berlin, nach wie vor ihre Heimat hat. Das Jammern, sich Beklagen, Nörgeln, gerne auf hohem Niveau, das den Deutschen (und auch den Bergischen!) ja gerne nachgesagt wird, ist nicht nur nicht ihr Ding – sie versteht es auch nicht.

„Es geht uns doch in Deutschland so unfassbar gut. Erzählen Sie mal einem Londoner, was wir in Berlin für eine Drei-Zimmer-Wohnung zahlen. Die halten Sie für verrückt. Es gibt einfach so viel Großartiges in Deutschland. Auch, was Stil und Typen angeht. Helmut Schmidt zum Beispiel. Jahrelang galt international niemand als lässiger als dieser Mann. Oder die Scorpions, die erfolgreichste deutsche Rockband der Welt. Wir lachen nur über ,Wind of change‘, aber als Obama damals Berlin besuchte, wünschte er sich, dass die Scorpions dort auftreten.“

Vorstellen kann sich Nina Zywietz eine Menge. Vor allem für ihre Kunden. Die hat sie mal bei einem Verlag betreut, mal bei einem Denim-Label, mal freiberuflich. Sie war und ist meist fürs Visual Branding verantwortlich, sprich: Wie inszeniere ich ein Produkt so eindrucksvoll, so effektiv, dass es sich ins Gedächtnis einbrennt. Dass es gekauft und ein Erfolg wird. Das macht sie in der Agentur Bold inzwischen mit einem Team aus 50 Mitarbeitenden. Für die ganz Großen der Automobilindustrie. Für internationale Modelabels. Oder auch mal für kleinere Nischenprodukte. Und immer mit dem Hunger auf Neues. Denn daraus zieht Nina Zywietz ihre Inspiration. Und ihre Kraft, um im oft rasend schnellen Agenturalltag ihre Frau zu stehen.

„Es ist in der Tat Alltag, wenn man sich mit BMW oder Esprit trifft. Heute entwerfen wir ein kleines Keativkonzept, morgen veranstalten wir eine große Shoperöffnung. Ganz wichtig bei alledem, gerade auch als Frau: Man darf durchaus ein bisschen stolz auf das sein, was man schon geschafft hat. Unsere Kunden brauchen uns ja auch. Sie haben uns gewählt, weil sie unsere Ideen am besten finden. Also können wir auch mit Selbstbewusstsein da rausgehen. Und, ganz wichtig, immer mit Neugier. Ich kann mich zum Beispiel auch für einen Elektromotor begeistern. Weil ich weiß, das ist die Zukunft. Wir werden in zehn Jahren gerade in den Städten nicht mehr so fahren wie heute. In Berlin kenne ich niemanden, der ein eigenes Auto besitzt. Solche visionären Themen wie die Mobilität von morgen finde ich sehr spannend.“ 

Bleibt alles anders – damit kommt Nina Zywietz besser zurecht. Vertrauen auf die eigenen Stärken, gleichsam immer begeistert sein von der Veränderung, sie annehmen, mitgestalten, mitprägen. Dass all das eine Menge Arbeit macht, steht außer Frage. Kommt halt immer darauf an, wie man diese und damit seinen Lebensalltag gestaltet. Welche Arbeitswelten man mitkreiert. „Ja, ich habe wahnsinnig viel zu tun. Aber ich habe auch sehr gute Mitarbeitende. Man muss zudem gute Strukturen in den Teams einführen, damit man sich nicht um alles kümmern muss. Ich selbst muss nicht alles wissen, ich gebe sehr gerne Aufgaben ab. Und ich verfalle dann auch keinem Kontrollwahn, das erzeugt doch nur Stress. Fehler machen wir sowieso alle, wichtig ist, daraus zu lernen.“

Nina Zywietz weiß jetzt schon, wann sie bis zum Sommer wo beruflich im Ausland sein wird, wann es zum Beispiel für Bold wieder nach New York geht. Allein die tägliche Mailflut nervt doch dann und wann, weil, seien wir ehrlich, letztlich ja doch nur ein Viertel davon relevant ist. Sich selbst beizeiten auch mal rausnehmen aus dem Alltagstrott, darin liegt für die Solingerin ein Geheimnis für Kreativität. Ebenso in der Keramik. Und im Sport. „Wie soll man an neue Ideen kommen, wenn man nur am Tisch sitzt? Warum nicht mal um den Block gehen, an die Decke gucken, einfach: nichts tun? Da ist man produktiver, als wenn man nur rennt, rennt und doch nichts schafft. Ich gehe nach der Arbeit rigoros zum Sport, zum Spinning oder Laufen, anders ginge das gar nicht. Und mal ehrlich: Um 18 Uhr geht die Welt in keinem Büro mehr unter.“ Oft kommen Nina Zywietz dann abends neue Ideen für eine Werbekampagne. Also das Notebook aufklappen und noch ein bisschen arbeiten. Gemütlich. Auf der Couch. Kreativ. Produktiv. Aber eben auch nicht immer. Auszeiten, gerne einige Wochen am Stück, nimmt sich Nina Zywietz immer. Weil sie die braucht. Beim Reisen. Beim Wandern. Beim Erkunden von Ländern und Landschaften, die sie noch nicht kennt. Weil sie weiß, dass bei Bold trotzdem alles läuft.

Mal rückblickend betrachtet, was war eigentlich der Schlüssel für den Erfolg? Der ja weiter anhält?

„Die Welt gehört den Mutigen. Es gibt für mich nichts, das ich nicht lernen kann. Ich bin mir zum Beispiel sicher, dass ich lernen kann, wie man Fliesen verlegt. Vielleicht bin ich nicht so gut wie einer, der das schon Jahre lang macht. Aber ich kriege die Fliese an die Wand. Wichtig ist eine gehörige Portion Eigeninitiative und Interesse, und das lernt man an keiner Schule und an keiner Uni. Und doch: Letztlich sollte man auch nicht alles zu ernst nehmen. Ja, wir machen tolle Dinge, die sehr viel Spaß bringen, wir sind Partner von großen Unternehmen, aber wir retten auch keine Leben. Eine Chefin von mir hat einmal gesagt: Es ist PR, nicht ER. Wir machen Kommunikation, wir sind nicht Emergency Room. Die innere Ruhe, das so zu sehen, kommt zum Glück auch irgendwann.“

Ein Artikel aus dem ENGELBERT Solingen, Ausgabe 30.
Foto: Zywietz