Geht auch ohne

Nachhaltigkeit
In Wermelskirchen hat Jochen Schmees den ersten Unverpackt- Laden im Bergischen Land eröffnet.
Aus voller Überzeugung. Mit Blick auf morgen. Und klarer Mission.

Kurz nach neun an einem Mittwochmorgen an der Kölner Straße 46 in Wermelskirchen. Tür auf, Tür zu, Tür auf, Tür zu. Eine Kundin nach der anderen betritt den Krämerladen von Jochen Schmees, viele junge Mütter sind dabei, auch ältere Damen. Die schauen, staunen, fragen, kaufen. Manche sind schon erfahrener. Sie wissen, wo es das Müsli gibt, wo sie ihr Spüli nachfüllen dürfen, und dass sie ihre mitgebrachten Dosen und Flaschen vor dem Befüllen kurz wiegen müssen. Bevor sie dann, an der Kasse, noch einmal gewogen werden. Sie zahlen nur das Gewicht des Inhalts, nicht das ihrer Dose.

Jochen Schmees und seine Frau, die eigentlich Lehrerin, aber gerade in Elternzeit ist, beraten, informieren und sortieren parallel dazu frisch angekommene Waren ein. Sie sind selbst noch ein bisschen neu hier. Kein Wunder: Als ENGELBERT Anfang Juni den ersten Unverpackt-Laden im Bergischen Land besucht, hat dieser gerade erst seit drei Tagen geöffnet. Am 2. Juni, zum verkaufsoffenen Sonntag, war Einweihung. „Und da war hier richtig was los“, freut sich Schmees. Ein echter Überzeugungstäter: „Wir versuchen privat schon seit längerem, möglichst nachhaltig zu leben, kaufen oft Secondhand-Kleidung, versuchen, auf Plastikmüll zu verzichten“, erzählt der gelernte IT-ler.

Als solcher hat er auch gearbeitet, 15 Jahre lang, sich aber gleichwohl irgendwann gefragt, wie lange wohl noch. Während seine Frau in ihrem Lehrerinnenjob aufgeht. Dann bekam er die Kündigung. Schicksal? Wie auch immer, er nahm sich mit der Familie eine Auszeit. Das Paar reiste mit seiner kleinen Tochter zehn Wochen lang durch Skandinavien. Alles auf Anfang. Alles auf Null stellen. Sich ganz neu fragen: Was will ich die nächsten Jahre machen? Und: Trage ich als Vater nicht erst recht dafür Verantwortung, der nächsten Generation eine lebenswerte Welt zu hinterlassen? „Irgendwann sagte ich zu meiner Frau: Ich will einen Unverpackt-Laden eröffnen. Das ist es.“

Er informierte sich in der noch kleinen, aber wachsenden Branche, hat gute Kontakte zu Tante Olga, einem beliebten Unverpackt-Laden in Köln mit inzwischen zwei Shops. Das Prinzip: Einweg ist tabu. Kartoffeln, Obst, Müsli, Körner, Toilettenpapier, Seife, sonstige Hygieneartikel – alles unverpackt. Getränke gibt es in Pfandflaschen. Und nicht nur das: Alle Produkte stammen aus nachhaltiger, oft regionaler Produktion in bester Bio-Qualität. So hat es Jochen Schmees kennengelernt, so wollte er das auch anbieten. Aber: Wollten das auch die Wermelskirchener? Genau das hat er sie gefragt und eine große Online-Umfrage gestartet. „Nach kurzer Zeit hatte ich über 2000 Antworten. Zu 90 Prozent positiv. Nein, mehr noch: Die meisten fragten zurück, worauf ich denn noch warte.“

Dadurch entstand natürlich ein gewisser Druck, was aber ja oft nicht schadet. Um finanziell flexibler zu sein, setzte der 36-Jährige noch einmal auf die Stärke vieler: Er machte seinen Unverpackt-Laden zum Crowdfunding-Projekt auf der Internetplattform startnext.com und sammelte über einige Wochen Geld ein. Die Unterstützer bekamen jeweils ein Dankeschön, zum Beispiel in Form eines Warengutscheins. Fundingziele: 12.500 und 25.000 Euro. Schmees erreichte beide und konnte nun in Ruhe alles anschaffen, was er brauchte. Darunter die 40 Glasspender für Müsli und Körner, die allein jeweils 200 Euro kosten. Der Name des Ladens könnte passender gar nicht sein: Zum einen bezieht er sich auf die Tradition der Krämer, jener kleinen Lebensmittelläden aus früheren Zeiten. Zum anderen hieß Jochen Schmees früher selbst so, ehe er den Namen seiner Frau annahm.

Die Räume im ehemaligen Schuhgeschäft Schnütgen sind so großzügig, dass Schmees noch weitere Regale und Produkte aufnehmen kann. Bionudeln sind unter anderem geplant. Bevor er die ins Sortiment holt, wird er wie bei allen anderen Produkten auch den passenden Lieferanten suchen. Was zunehmend leichter werden dürfte, weil er bereits einem Verbund von Unverpackt-Läden angehört, der sich in diesem Jahr gegründet hat. Gemeinsam möchte man aber nicht nur gute Einkaufspreise verhandeln, sondern auch noch stärker werden, wenn es um die eigene Mission geht: „Ich öffne oft Kisten und denke: Warum ist da jetzt wieder eine Plastikhülle drin? Dann rufe ich beim Lieferanten an und frage, ob das nicht auch anders geht.“

Mit seinen Argumenten hat Schmees durchaus Erfolg: „Ich hatte einmal einen Lieferanten, der lieferte die Waren in Plastik verpackt. Ich fragte ihn, warum das denn nicht mit Papier genauso gut gehe. Dann hörte ich drei Wochen nichts. Hakte nach. Und der Lieferant entschuldigte sich für die Verzögerung – er habe sich nach unserem ersten Telefonat erst einmal eine Papierverpackungsmaschine gekauft.“ Als Jochen Schmees diese Geschichte erzählt, leuchten seine Augen auch deshalb, weil sie beweist, dass immer mehr Menschen umdenken, wenn man ihnen die richtige Richtung zeigt. Sich über den vielen Plastikmüll in den Weltmeeren beschweren ist das eine. Selbst sein Einkaufsverhalten ändern, das andere. Schmees weiß, dass ein „Zero Waste“, also komplett ohne Verpackungsmüll auszukommen, heutzutage in Gänze kaum möglich ist. Aber er weiß auch, und so steht es sogar unten auf dem Kassenbon (den er sich gerne sparen würde, was aber systemisch leider nicht geht):
Es sind die vielen kleinen Veränderungen, die am Ende den Unterschied ausmachen.

Ein Artikel aus dem ENGELBERT Remscheid, Ausgabe 19.
Foto: Sandra Juhr