Is dat schön hier

Warum Wandern überhaupt nicht uncool ist, man in den Wupperbergen prima für den Jakobsweg üben kann und Instagram perfekt ist für schöne Wanderfotos, beweist die Waldgestalt.

Wandern — das ist doch uncool?! Gerade für Jüngere. Oder? Die meisten Eltern kennen wahrscheinlich das Gesicht, das Kinder ziehen, wenn es heißt: „So, jetzt gehen wir mal raus!”

Dabei ist Wandern alles andere als uncool, sagen die Mitglieder von Waldgestalt aus Solingen. Man muss es nur mit den richtigen Leute machen und so, wie es junge Leute heute eben machen: mit Kamera oder Smartphone in der Hand. Fotos werden ja eh rund um die Uhr geschossen für Instagram und Co – da kann man es auch in der Natur machen. Und weil Vanessa Marshall gerne raus geht und auch mit der Kamera unterwegs ist, kam sie irgendwann an den Punkt, sich zu fragen: Die ganzen tollen Fotos und die Wege, die ich so kenne – für wen mache ich das eigentlich alles? Also: rauf auf Instagram damit und schon war die Idee der „Waldgestalt” geboren. Am 17. Januar 2017 gab es den ersten Post, seit einem Jahr existiert jetzt die Website.

Fotos einstellen, Wege durchs Bergische vorschlagen und andere treffen, die da drauf auch Bock haben. Für die 24-Jährige war es erstmal nur ein Versuch, aber ganz schnell fanden sich durch ihre Hashtags wie „Klingenpfad, Abendlicht oder Wandern” eine Menge andere, die das Gleiche wollten. Viele kommen erst nach dem Auszug bei den Eltern auf den Geschmack, dass Wandern doch Spaß machen könnte. Zum Beispiel Jessica Sprenger. Die ist auch 24 und mit ihrem Freund gerne in der Natur unterwegs. Beide wollten den Jakobsweg gehen und suchten sich Aufwärm-Touren im Bergischen. Da stieß die Studentin auf die Seite und fand die Idee von „Waldgestalt” so toll, dass sie gleich aktiv mitmachen wollte.

Seitdem organisiert das kleine Team mit Ex-Mitbewohnerin Marina Dierks und Beate Marshall Touren durch die bergischen Berge. Und immer mehr junge Leute merken, dass Wandern nicht nur im Urlaub Spaß macht, wenn es Hiking heißt, sondern auch zu Hause in Solingen. Ganz wichtig für die Waldgestalten: Alle Touren müssen gut mit dem ÖPNV zu erreichen sein. Denn Jessica hat kein Auto und es muss alles so praktisch wie möglich zu machen sein. Circa alle zwei Monate gibt es eine Tour, an der jeder teilnehmen kann, der kommt. Das ist das Prinzip: keine festen Zusagen, keine Verbindlichkeiten. Und kein losrennen sonntags morgens um neun Uhr. Alles soll locker zugehen. Dann wird gewandert, gequatscht und manchmal auch was gelernt. Zum Beispiel wenn eine Landschaftsfotografin dabei ist und gute Tipps gibt. Oder ein Experte für Industriedenkmäler, der toll erklären kann, wie schön das Zuhause eigentlich ist.

Und wer keine Lust auf Mitwanderer hat, der geht einfach allein los. Auf der Webseite Waldgestalt.de gibt es verschiedene Tourenvorschläge, zum Beispiel „von Hästen nach Unterburg” oder „Für Bergsteiger: von Meigen über Müngsten zum Halfeshof”. Dazu eine Beschreibung der Strecke, wie lange man dort unterwegs ist und welcher Schwierigkeitsgrad da auf einen wartet. Außerdem sind auf der Strecke die Punkte markiert, wo man die schönsten Fotos machen kann.

Nächster Coup von Waldgestalt: eine App. Die soll in den nächsten Wochen an den Start gehen. Das Stadtmarketing ist mit im Boot und sammelt Fördermittel ein. Denn: die Macher von Waldgestalt haben eine Menge vor. Verschiedene Wanderwege sollen da zu finden sein und auf dem Weg soll es Schilder geben, die auf einen Hörbuch-Teil hinweisen. Der Standort der Wanderer wird erfasst, und wenn die App geöffnet ist kann man sehen, an welchen Wegpunkten die Geschichten abgerufen werden können. Erste Tonaufnahmen sind schon gemacht, jetzt fehlen noch die technischen Details. Auch die Stadt will eine eigene Tour dort präsentieren – den Lieferfrauen-Wanderweg. Im besten Fall gelingt es sogar noch, in die App auch visuelle Möglichkeiten einzubauen, dass man vor Ort sehen kann, wie es früher an dieser oder jener Stelle ausgesehen hat. Daran wird gerade hart gearbeitet. Schon erledigt ist ein Fotowettbewerb. Aus den Bildern werden jetzt Postkarten und Kalender gemacht.

Und die Waldgestalten freuen sich über mehr junge Mitmacher. Die auch entdecken wollen, wie viel die Natur zu bieten hat. Und zwar völlig kostenlos. Und die vielleicht merken, dass eine Wanderung zu Hause durchaus eine Alternative zum Wochenend-Trip nach Holland sein kann, um den Kopf mal freizukriegen. „Da ist doch noch ne Menge Potential“, sagen Jessica und Vanessa. Auch hier im Bergischen. Als nächstes steht übrigens eine Klimawanderung an. Auch hier treffen die Waldgestalten wieder einmal den Zeitgeist.

www.waldgestalt.de

Ein Artikel aus dem Engelbert Solingen, Ausgabe 31.
Foto: Christian Beier