Mach neu

Die Remscheider Unternehmerin Inga Bauer begann vor vier Jahren noch einmal ganz von vorn. In der Berliner Start-up-Szene holt sie sich nicht nur ihre Ideen. Sie ist längst ein Teil davon geworden.

Doch, kann sie. Sie kann das bringen. Sie konnte sich vor ihre Mitarbeiter der Firma Bauer und Böcker stellen
und sagen: „So. Wir machen ab sofort keine Rohrsteckschlüssel mehr. Auch wenn mein Großvater das Unternehmen 1932 damit begründet hat.“ Auch ihren Kunden konnte sie das einfach so sagen. Sie konnte auch einen ihrer Mitarbeiter zum Geschäftsführer ernennen und sich selbst erst einmal für anderthalb Jahre
fast komplett ausklinken. Nach Berlin gehen. Da leben. Lernen. Sich entwickeln. Alles mit Mitte
vierzig. Inga Bauer hat mit der Tradition gebrochen. Oh, böse! In Remscheid bricht man doch nicht
mit der Tradition! Man hat sie zu hegen und zu pflegen und darf höchstens ein bisschen was dazu
packen. Oder? „Mein Großvater hat einst gegründet, das war das mit den Rohrsteckschlüsseln,
mein Vater hat dann mit der Produktion von Dauermagneten angefangen, ich selbst habe die Laserbeschriftung und die LED-Leuchtenmanufaktur entwickelt. Ich bin an all das recht hemdsärmelig rangegangen, hab
immer mittendrin im Unternehmen gearbeitet, wollte mehrere Standbeine“, erzählt sie. Lief und
läuft auch soweit gut. Dann zerbricht im Jahr 2014 eine Beziehung. Und das tut weh. Aber es macht auch frei für etwas Neues. Inga Bauer verschlingt Businessbücher und Unternehmerbiografien, besucht Seminare,
unter anderem von Autor und Coach Stefan Merath. „Zwei Dinge habe ich da mitgenommen.
Erstens: Die Unternehmerin oder der Unternehmer arbeiten nicht im, sondern am Unternehmen.
Das war mir neu. Zweitens fragte er uns: Denkt mal zurück – wie habt ihr euch euer Leben
vorgestellt, als ihr jung wart? Und jetzt? Lebt ihr dieses Leben? Wir alle schüttelten den Kopf,
Merath aber sagte: Ihr könnt es!“ Eine Woche später schafft Inga Bauer die Rohrsteckschlüssel ab.

Kurz danach zieht es sie nach Berlin, in die Start-up-Szene. Und daheim kommen die Unkenrufer:
„Was meinen Sie, wie viele Leute mich für verrückt gehalten haben. Einfach die Firma allein
lassen. Die würden mir auf der Nase herumtanzen.“ Haben sie nicht, sie haben Bauer und Böcker als Partner
für innovative Technik weitergeführt. Und ihre Chefin hat sich weiterentwickelt. Hat die hippe
Berliner Start-up-Szene mit ihren riesigen Coworking Spaces, den vielen Pitchings und Design Thinking-
Seminaren an jeder Ecke in sich aufgesogen, diese Macher-Mentalität, auch das Chaos und
den Trubel und vor allem die Gewissheit: Es muss nicht immer alles sofort funktionieren: „Wenn
man so einen Schritt geht, weil man sich mit dem, was ist, nicht mehr wohlfühlt, braucht man
Mut. So was kann auch scheitern.“ Ist es nicht. Bis auf eine Zeit der Heimatlosigkeit, während
der Inga Bauer zwischen Berlin und Bergischem Land pendelte, ist alles gut gegangen. Und auch
das Thema Heimat hat sie für sich geklärt: Es ist Berlin. Nicht nur, seit sie dort auch privat ein
neues Glück gefunden hat. Obgleich ihr Unternehmen nach wie vor an der Langen Straße
in Remscheid sitzt und alle ihre Mitarbeiter dort tätig sind, fühlt sie selbst sich inzwischen als
Besucherin, wenn sie nach Remscheid zurückkehrt. Remscheid, die feste, stabile Eisscholle.
Und Berlin, die kleine, wackelige Scholle, auf der aber immer was passiert, die ständig neue Ideen
und Inspirationen liefert. Da, wo diese Ideen auch einfach mal laut ausgesprochen werden, wo
junge Unternehmer mit Prototypen zum Kunden laufen und sagen: „Schau mal, wie findest du denn das?“, anstatt von vorneherein Angst zu haben, die Idee könnte einer klauen oder sie ihnen schlechtreden. „Man
müsste all diese Start-ups, die oft geniale Ideen haben, aber nicht gleich wissen, wie sie die zu Geld
machen, noch stärker mit den etablierten Firmen zusammenbringen, die eben genau wissen,
wie das funktioniert“, findet Inga Bauer. Also bringt sie Menschen zusammen: Als Innovationsbotschafterin
hat sie sich ein zweites Standbein aufgebaut, organisiert unter anderem Innovationsreisen
in die Start-up-Szene der Hauptstadt. Die nächste startet im Februar. Spannende neue Firmen
besuchen, bei einem Pitching dabei sein, sich austauschen, gemeinsam erste Ideen entwickeln, darum geht es dann. Und darum, den Mut zu haben, diese umzusetzen. Die eigene Erfolgsnische zu finden. Aber es geht immer auch darum, den nötigen Abstand zu gewinnen zu den Dingen. Sich selbst zu reflektieren. So, wie Inga Bauer
das zum Beispiel nach ihrer ersten Woche im hippen Silicon Valley in San Francisco gemacht
hat. Danach stand für die leidenschaftliche Triathletin erst einmal eine Woche Wandern im
Yosemite National Park an: „Die Natur erleben, wandern, laufen, am besten noch mit dem Hund.
Ganz wichtig ist das“, sagt sie. Immer wieder zoomt sie aus dem Alltag raus, betrachtet die Dinge
aus einer anderen Perspektive und vermittelt diese als Speakerin auch anderen Menschen. „Mein
Leben“, sagt Inga Bauer, „ist seit diesem Neustart 2014 viel spannender geworden.“ Und das ganz
ohne Rohrsteckschlüssel.

Ein Artikel aus dem ENGELBERT Remscheid, Ausgabe 17.
Foto: Simone Haase