Auf und ab, vor und zurück. Gözde Yegin-Turan kennt das nur zu gut. Bis sie sich als Casting-Redakteurin für viele bekannte Fernsehsendungen etabliert hatte, musste sie so manchen Umweg gehen.
Seien wir ehrlich: Von einer Karriere beim Fernsehen (oder heute auf YouTube) sind viele junge Mädchen fasziniert.
War bei Gözde Yegin-Turan nicht anders. Aber dass die Solingerin eines Tages selber einmal vor der Kamera stehen und später sogar hinten den Kulissen die Fäden ziehen würde, damit hätte sie vor einigen Jahren sicher nicht gerechnet. Heute ist sie als Casting-Redakteurin dafür verantwortlich, für eine Vielzahl bekannter Sendungen
der Mediengruppe RTL und der öffentlich-rechtlichen Sender die passenden Darsteller oder Protagonisten zu finden. Immer unterwegs sein, immer wieder neue Leute kennenlernen, das besondere Gespür dafür entwickeln, wer wohin gut passt. Scheint ihr gut zu gelingen: Den „Bachelor“ des Jahres 2017 der gleichnamigen RTL-Show hat sie entdeckt. Wie aber kam sie überhaupt in das Business? Na, übers Solinger Tageblatt! Mit 16 liest sie in der
Tageszeitung von einem Schauspielercasting. Wohl gemerkt: Schauspielerfahrung hat sie da noch nicht. Sie macht aber offenbar einen so guten Eindruck, dass sie auf Anhieb eine Rolle bekommt. Eine ganz neue Welt.
Rollenvorbereitung, Texte lernen, Dreharbeiten.
Und doch nur eine Momentaufnahme für Gözde Yegin-Turan, deren Eltern es zurück in die türkische Heimat zieht. Sie begleitet sie. Aber nur für ein Jahr – denn aus familiären Gründen muss sie wieder zurück nach Solingen. Aber was anfangen, ganz alleine? Was Vernünftiges, wie so manche Eltern sagen würden? Warum nicht. Eine kaufmännische Ausbildung in Wuppertal, das könnte ein Neustart sein. Ist er aber nicht wirklich. „Ich habe einfach gemerkt, dass mein Herz immer noch am Fernsehen hängt“, erzählt Gözde Yegin-Turan. Sie wagt eine neue Ausbildung und geht auf die Gymnastikschule (Schwerpunkt Tanz), wo sie viel zur Bühnenpräsenz dazulernt. Die Schauspielerei lässt sie nicht los, ebenso die Fernsehwelt insgesamt, in die sie auch während der Dreharbeiten eintauchen durfte. Sie bewirbt um auf ein Praktikum bei RTL. Und zieht die Glückskarte: Sie darf in der Redaktion der Talkshow von Natascha Zuraw mitarbeiten. Die gibt es, wie so viele Talksendungen der frühen Nullerjahre, inzwischen längst nicht mehr. Drei Monate, nachdem die Solingerin ihr Praktikum begonnen hat, setzt RTL die Show ab. Ist sie enttäuscht?
Nein, motiviert: „Diese Praktikums-Erfahrung hat mich darin bestärkt, dass ich wirklich dauerhaft beim Fernsehen arbeiten möchte“, erinnert sich Gözde Yegin- Turan zurück. Zumal sie selbst ihren Job richtig gut machte. Das
Praktikum als Türöffner – bei ihr hat das genauso funktioniert. Gözde Yegin-Turan ist vielen Kollegen und Vorgesetzten im Gedächtnis geblieben, sie verhelfen ihr zu weiteren Jobs in der Branche. Es folgten diverse
Praktika bei verschiedenen Produktionsfirmen. Und ein Ritterschlag: Obwohl sie nie studiert hat, bietet ihr eine der Firmen ein Volontariat an. Da überlegt man nicht lange. Doch wieder kommt es anders, als sie denkt. Das Volo
beginnt prima, als kurz darauf ihr Vater schwer erkrankt. Familie oder Karriere? Durchbruch in der Medien- und Castingbranche oder Betreuung des Vaters? „Ich habe mich für meinen Vater entschieden und das auch
nie bereut“, erzählt Yegin-Turan. Obwohl ihr Volontariat passé ist, denn sie geht für weitere Monate
in die Türkei. Und kehrt wieder zurück. Und muss wieder den Neustart wagen. Aber sie beginnt auch nicht mehr bei Null, pflegt gute Kontakte zu Produktionsfirmen, bei denen sie arbeiten durfte, absolviert weitere Praktika,
hält sich irgendwie über Wasser. Und wird für ihren Ehrgeiz, die Hartnäckigkeit sowie für ihr Können belohnt. Mittlerweile 28 Jahre alt, entdeckt sie ein Jobangebot als Casting-Redakteurin. Sie bewirbt sich.
Nicht irgendwo, sondern in der Produktionsfirma des bekannten RTL-Moderators Oliver Geissen. Sie bekommt den Job, klettert die Karriereleiter empor, wechselt die Produktionsfirma und castet für Formate wie „Berlin Tag und
Nacht“ oder „Köln 50667“ und geht in die Factual-Entertainment-Abteilung. Und dann? Der nächste Schritt:
Führungsposition. Und dann? Wird sie schwanger. Und denkt: „Jetzt kann ich die Medienbranche total vergessen.“ Denn für sie und ihren Ehemann ist klar: „Wir wollen das Kind unbedingt bekommen.“ Aber der Chef reagiert
anders als von ihr vielleicht befürchtet. Klar nimmt sie sich die nötige Auszeit fürs Kind, aber sie arbeitet vor und, sobald es geht, auch nach der Geburt engagiert weiter. Mit Erfolg: Sie entdeckt den Bachelor 2017.
Inzwischen ist Gözde Yegin-Turans Sohn schon zwei und sie arbeitet für die Firma Talpa Germany,
die Sendungen wie „The Voice of Germany“ oder „Sing meinen Song – Das Tauschkonzert“ produziert. Für neue
Formate ist sie weiterhin immer auf der Suche nach interessanten Menschen, spannenden Geschichten
und großen Emotionen. Und sie macht Mut: „Ich will anderen auch immer zeigen, dass sie nie aufgeben dürfen. Man kann alles schaffen, wenn man bereit ist, dafür zu kämpfen.“
Ein Artikel aus dem ENGELBERT Solingen, Ausgabe 29.