Ein Klassenraum mit Millionen Schülern

Viele bezeichnen ihn ehrenvoll als „Mathe-Gott“. Auf die Dienste des Remscheiders Daniel Jung sind regelmäßig Tausende Schüler und Studierende angewiesen: Auf Youtube erklärt er Mathematik ohne viel Schnickschnack.

Fast wäre Daniel Jung der erste Akademiker seiner Familie geworden. Doch dann lief es mit Youtube so gut, dass der Remscheider sein Studium abbrach und sich gegen eine Zukunft als Mathelehrer entschied. „Die richtige Wahl“, sagt Daniel Jung mehr als zehn Jahre später.
Heute ist der 42-Jährige, der mittlerweile in Köln lebt, einer der wichtigsten deutschen Youtuber im Bildungssektor.

Daniel Jung lebt mittlerweile in Köln. ©Daniel Jung

Er hat einen Podcast, eine eigene Lernplattform und setzt sich für Bildungsgerechtigkeit ein.
Und Lehrer ist er immer noch, zwar nicht klassisch mit Tafel, Kreide und Schulklasse, aber mit Whiteboard, Kamera und
Millionen Zuschauern.

Seine Videos sind immer nach demselben Muster aufgebaut: Keine Begrüßung, keine Verabschiedung, er steigt direkt ins Thema ein und erklärt Differentialgleichungen, Stochastik oder Partielle Integrationen in unter fünf Minuten. „Learning Nuggets“ nennt er das, die gesamte Mathematik hat er in kleine Häppchen gepackt.

Das ist für die, die seine Hilfe brauchen, am einfachsten: „Wenn ich nur wissen will, wie eine Potenz funktioniert, brauche ich keine Vorlesung“, sagt er.

Dass er es in dieser kurzen Zeit trotzdem schafft, komplizierte Sachverhalte auf den Punkt zu bringen, zeigen die Kommentare unter seinen mittlerweile über 3000 Videos: „Ich wünschte, das hätte mir vorher jemand so erklärt“ oder „So macht Mathe echt Spaß“.

Früher die rechte Hand des Mathelehrers

Mathe-Nerd war er schon in der Schule. Je komplizierter der Matheunterricht, desto häufiger musste er seinen Mitschülern bei den Hausaufgaben helfen. Manchmal hat ihn sein Mathelehrer sogar damit beauftragt, ihn im Unterricht zu unterstützen.

Dass er damals schon so gut erklären konnte, habe daran gelegen, dass er „nah am Stoff“ gewesen sei. Vielen Mathelehrern gehe das verloren: Sie würden so erklären, wie sie es verstehen würden. Leidtragende seien die Schüler, die nicht mehr hinterherkommen.

Hinzu kämen volle Klassenräume, Lehrermangel und eine immer kleiner werdende Aufmerksamkeitsspanne bei Schülern. „Es ist unmöglich, unter solchen Bedingungen anständigen Matheunterricht zu machen“, sagt Jung.

Weil das auch vor 30 Jahren schon so war, war Jung als Nachhilfelehrer sehr gefragt. Nach seinem Abi studierte er Sport und Mathe auf Lehramt. In dieser Zeit wurde Youtube immer größer, Jung nutzte die Plattform für sein Studium: „Ich habe nach Matheinhalten gesucht und gefilmte Vorlesungen gefunden, die von amerikanischen Unis hochgeladen wurden.“ Er fragte sich, warum es sowas nicht auch in Deutschland gibt – und so wurde seine Idee geboren.

Seiner Zeit voraus gewesen

2011 fing er an, nach und nach Erklärvideos auf Youtube hochzuladen. Ein Jahr später wollte er eine eigene Lernplattform auf die Beine stellen, eine Art Youtube für deutsche Schulen.
Doch daraus wurde erst einmal nichts, weil Lehrkräfte, Schulleiter und Ministerien skeptisch waren: „2012 in Deutschland über Video-Learning zu sprechen, war ernüchternd. Die haben mich angeguckt wie ein Alien“, sagt der Youtuber.

©Daniel Jung

Beirren lassen hat er sich aber nicht. Er wusste ja, dass er seiner Zeit voraus war.
Also baute er seine Plattform ohne Hilfe auf. Heute hat Mathefragen.de über 30.000 ehrenamtliche Mitglieder, darunter
Professoren und Lehrkräfte, die Schülern und Studierenden bei Matheproblemen helfen.

Dass durch Corona noch mehr Hilfesuchende hinzukamen, kann Jung nicht bestätigen: „Schüler waren auch schon vor der Pandemie im Internet unterwegs und sind der Digitalisierung an Schulen weit voraus“, sagt er.

Das deutsche Bildungssystem dümpele währenddessen weiter vor sich hin: „Es ist nicht zeit- gemäß, weil es sich nicht daran orientiert, wie wir in Zukunft arbeiten. Keiner ist ein Fan vom Bildungssystem, aber es ändert sich auch nichts“, sagt Jung.

Statt Schülern Matheaufgaben zu geben, die sie mit dem Taschenrechner ausrechnen und auf ein gedrucktes Blatt Papier schreiben müssen, sollten Schulen sie dazu animieren, sich mit neuen KI‘s wie ChatGPT oder der Mathesoftware Wolfram Alpha zu beschäftigen. „Rechnen können die Rechner, das müssen wir heute nicht mehr
selber machen“, sagt Jung.

Zum YouTube Kanal von Daniel Jung – hier klicken.

Danina Esau – ENGELBERT Redaktion