Hey, Doc!

Punkrocker. Metallgitarrist. Fast-Olympiaschwimmer. App-Entwickler. Tattoo-
Fan. Mehrfacher Facharzt.  Fernsehmoderator. Radioexperte. Familienvater.
Nein, wir sprechen nicht von neun Typen, sondern von einem. Einem ziemlich coolen.
Und wo arbeitet Heinz-Wilhelm Esser? Na bei Sana in Remscheid. Klar soweit?

Mann, ist der gut drauf. Das Schöne: Er ist echt. Nach einer Stunde Interview denke ich: Wow, vielleicht ist der ja immer so. Dieses Lächeln. Diese Schlagfertigkeit. Diese Leichtigkeit. Ob während des Gesprächs sieben Mal das Bereitschaftstelefon klingelt oder sechs Kollegen durch das große Atrium im Sana Klinikum Remscheid an ihm vorbeilaufen: Heinz-Wilhelm Esser hat für jeden einen passenden Spruch, mal frech, mal ironisch, immer offen und einfach saucool. So, wie er es selbst ist, der Mann, der mit Mitte vierzig neun Leben auf dem Buckel hat – so scheint es jedenfalls.

Denn es gab eine Zeit vor dem Facharzt für Kardiologie, Angiologie, Pneumologie und Intensivmedizin. Eine Zeit vor dem Fernseharzt Doc Esser mit eigener Sendung, vor seinen vielen Gastspielen im Radio.

Eine Rampensau war er immer schon. Einfach mal ins kalte Wasser springen? Für Esser sprichwörtlich kein Ding, seit Jahren schon: Er schaffte es als Leistungsschwimmer bis in die Bundesligamannschaft, trainierte immer vor der Schule, springt heute noch ins Becken, bevor der Tag so richtig Fahrt aufnimmt: „Ich wache oft morgens auf und habe tausend Dinge im Kopf, da explodiert dann alles. Ich finde das auch gut, dadurch schmeißt man ja vieles auch mal an. Aber ich brauche meine Bahnen, um den Tag zu strukturieren.“ Also zieht er sie, die Bahnen, er kennt wahrscheinlich zwei Drittel aller deutschen Schwimmbäder, so viel ist er schon herumgekommen. Seit einiger Zeit aber ist er Stammgast in Wermelskirchen, macht auf dem Weg von seiner Wahlheimat Köln nach Remscheid jeden Morgen dort Halt. Und schwimmt. Warum hat es eigentlich nicht zum Schwimmprofi gereicht, wo er es doch schon bis in die Bundesliga geschafft hat? „Am Ende hat das Talent gefehlt. Ich bin übrigens nie Kurzstrecken geschwommen, sondern immer die langen Distanzen, wegen meiner schlechten Reaktionszeit. Die anderen waren schon fast bei der ersten Wende, da meinte mein Trainer: So, jetzt kannst du auch mal reinspringen“, erzählt Heinz-Wilhelm Esser und lacht. Das Geniale an seinen heutigen Auszeiten im Becken: Heiwi, wie er von den meisten genannt wird, fängt dann all die Ideen ein, die da so in ihm herumtitschen, strukturiert sie, baut Pläne daraus. Und setzt sie um. „Ich denke dann: Ich mache gerne Musik und hätte gerne mal einen Plattenvertrag. Also machen. Und ich hätte gerne einmal eine medizinische App. Also machen.“ Ja, und dann macht er. Erst recht, wenn andere sagen, das wird nichts.

Nach einem Unfall an der Hand sagte man ihm, die werde wohl steif bleiben. „Das wollte ich nicht hinnehmen, also habe ich Gitarre gelernt.“ Hat geklappt. Esser spielt leidenschaftlich gern E-Gitarre, wollte natürlich immer Slash von Guns‘n‘Roses sein, gründete mit sechzehn seine erste Punkband. Und wenn, dann richtig: „Die Jungs sahen damals echt verboten aus. Zwei liefen immer mit Ratten auf den Schultern rum. Ich hab mir einen Nasenring setzen lassen. Dann waren wir auf einem Konzert der Toten Hosen. Campino trug damals türkisfarbene Haare … also … hatte ich die bald auch so.“ Jahre später reiste Esser einem Kumpel auf dessen Tattoo-Weltreise spontan nach Bangkok nach und ließ sich eines seiner nicht wenigen Tattoos in einem Hinterhofstudio auf den Bauch stechen – nur, dass die Tätowiererin der deutschen Rechtschreibung nicht so ganz mächtig war und der geplante Schriftzug ein bisschen daneben ging. Hat Esser dann aber schnell korrigieren lassen. Apropos schnell: Schon mit Anfang zwanzig waren er und seine Punkband auf Tournee mit den Mittelalter-Kultmusikern von „In Extremo“, er durfte sogar vor Rammstein spielen, um sich als Vorband für deren Tour zu qualifizieren. „Nur, dass wir nicht geglaubt hatten, dass die wirklich kommen und auch nicht im besten Zustand auf der Bühne standen“, erinnert sich Esser. Rammstein waren da. Es hätte der Durchbruch werden können, es endete im Desaster und heute ist er froh, dass es genauso gekommen ist: „Wahrscheinlich wollten wir es nicht wirklich.“

Was er selbst dagegen wollte, war Arzt werden. Also büffelte er vorne im Tourbus während der Konzertreisen: „Einmal, damit uns der Fahrer nicht wegdöst, und um mein Examen zu schaffen.“ Hat geklappt, mittlerweile ist der 44-Jährige mehrfacher Facharzt. Und macht immer noch Musik, inzwischen Metal mit seiner Band Gunbarrel, baut sich zudem gerade sein zweites Tonstudio auf.

Und er produziert Apps. Wieder eine dieser Ideen morgens, nach dem Aufwachen. Also hat er eine Firma gegründet und mehrere Gesundheits-Apps entwickelt. Eine davon, ein Diagnose- und Therapietool für Krebserkrankungen, ist so erfolgreich, dass es auf Onkologiekongressen eingesetzt und permanent weiterentwickelt wird. Esser und sein Team haben hierzu schon Doktorarbeiten vergeben.

Es wäre keine Doc-Esser-Geschichte, wenn auch ihr nicht etwas Tragikomisches innewohnte: „Wir waren bei der App-Produktion anfangs zu dritt. Einer war der Geigenspieler aus unserer Band. Und dann kriegt ausgerechnet er einen so genannten Kindertumor im Oberarm. Der Arm musste amputiert werden, er ist aber leider trotzdem an Krebs gestorben.“ Auch in seinem Sinne entwickelt Esser die Apps nun weiter.

Punkrocker, Metallgitarrist, Leistungsschwimmer, Facharzt, Familienvater … reicht? Nicht, wenn immer noch jeden Morgen die Ideen explodieren. Inzwischen hat Heinz-Wilhelm Esser mit „Kittel, Keime, Katastrophen“ ein ziemlich unterhaltsames Buch geschrieben, das Patienten durch den Klinikalltag bringt. Und fast im Vorübergehen noch eine Radio- und Fernsehkarriere hingelegt. Nach der es erst einmal gar nicht aussah. Über einen Kontakt aus alten Punkrockzeiten kam er zum WDR, drehte eine Pilotfolge, die einen Tag vor seinem Geburtstag ausgestrahlt wurde. Das Geschenk des WDR: Ein Anruf. Tenor: Nee, also die Einschaltquote war so mies, das lassen wir mal lieber. Oder auch nicht. Denn der Esser ist ein Typ. Witzig, frech, zugleich mit enormem medizinischem Fachwissen, eigentlich immer gut drauf. Das sahen viele Zuschauer genauso und sagten das auch. Und Esser erhielt die zweite Chance. Die nutzte er und machte die Sendung „Doc Esser“ zur eigenen Marke.

Auch bei Sana in Remscheid wurden schon einzelne Episoden gedreht. „Das Management hier ist super, man hält mir wirklich den Rücken frei“, unterstreicht Esser. Das ist ihm wichtig, denn sein Job als Facharzt ist nach wie vor sein Hauptberuf. Und auch den liebt und lebt er: „Ich komme auch hier mit ganz viel Punkrock und Leidenschaft hin. Habe Lust auf die Patienten. Das muss Spaß machen, sonst brauchst du den Job nicht zu machen. Mir bereitet die Visite Freude, ich bin gerne bei den Patienten, nehme mir viel Zeit.“ Und wenn ihn dann viele dieser Patienten als Doc Esser aus dem Fernsehen erkennen und feststellen, wow, der ist ja auch im wahren Leben so, der verstellt sich kein bisschen, dann schadet das auch nicht gerade.

Hat einer wie Esser so etwas wie einen Lebensplan? „Wofür? Das Leben entwickelt sich so krude und immer wieder anders, da lasse ich lieber alles auf mich zukommen. Warum soll ich mir was vornehmen? Wichtig ist bei allem, was ich tue, nur eins: Ich muss etwas dafür fühlen. Wenn ich für eine Aufgabe nichts mehr fühle, dann lasse ich es.“ Und zum Glück fühlt Doc Esser für ganz vieles eine ganze Menge.

Ein Artikel aus dem ENGELBERT Remscheid, Ausgabe 18.
Foto: WDR/Solis TV WDR Presse und Information